Blumen in der Kunst: Das Museum Ostwall holt mit „FLOWERS!“ den Frühling ins Dortmunder U
„FLOWERS! Blumen in der Kunst des 20. & 21. Jahrhunderts“
30. April bis 25. September 2022
Blumen begleiten uns im Alltag, bereiten uns Freude, sind mit persönlichen Erinnerungen verbunden und wichtige Elemente der Gestaltung unserer Lebensräume. Zugleich sind sie ein seit Jahrhunderten verbreitetes Thema in der Kunst.
Mit dem Zeitalter des Barock wurde das Blumenstillleben zu einer eigenständigen Bildgattung, in der die Schönheit der Natur als auch die Vergänglichkeit zum Ausdruck gebracht wurden. Auch in der modernen und zeitgenössischen Kunst hat das Motiv nicht an Faszination verloren. Ausgehend von der Sammlung des Museums Ostwall werden 180 Werke von über 50 künstlerischen Positionen des 20. und 21. Jahrhunderts gezeigt, die Blumen in den Mittelpunkt rücken und sich verschiedenster Medien bedienen – von Malerei über Fotografie und Video bis zur Installation. Die Ausstellung illustriert die Entwicklung der Blumendarstellungen von der Klassischen Moderne bis zur Gegenwartskunst.
Die beteiligten Künstler*innen
Vertreten sind Werke von: Hans Arp, Anita Albus, Max Beckmann, Renate Bertlmann, Joseph Beuys, Stephanie Brysch, Klaus Burkhardt, Johannes Cladders, Felix Dobbert, Quynh Dong, Max Ernst, Hans-Peter Feldmann, Fischli/Weiss, Sabine Gorski, Andreas Gursky, Hannah Höch, David Hockney, Alexej von Jawlensky, Maria Louise Kaempffe, Judith Kaminski, Peco Kawashima, Ernst Ludwig Kirchner, Lee Mingwei, Robert Mapplethorpe, Ana Mendieta, Claire Morgan, Paul Morrison, Gabriele Münter, Heinrich Nauen, Ursula Neugebauer, Emil Nolde, Walter Ophey, Meret Oppenheim, Régis Perray, Otto Piene, Joos van de Plas, Marc Quinn, Odilon Redon, Gerhard Richter, Pipilotti Rist, Christian Rohlfs, Dieter Roth, Ulrike Rosenbach, Martha Rosler, Hito Steyerl, Anaïs Tondeur, Günther Uecker, Timm Ulrichs, Suzanne Valadon, Philipp Valenta, Bernd Völkle, Andy Warhol und Annette Wehrmann.
Von persönlichen, politischen und globalen Geschichten
Bis heute greifen internationale Künstler*innen einerseits die Tradition des Blumenstilllebens und der naturkundlichen Feldforschung auf; andererseits lösen sie das Thema aus diesen gattungsspezifischen Zusammenhängen und entwickeln es weiter. Die Werke in der Ausstellung zeigen die Bedeutungserweiterungen und die künstlerische Aktualität dieses Motivs: von der der Autonomisierung der Bildmittel wie Farbe und Form, bis hin zum Nachdenken über sich selbst, das Verhältnis von Natur und Künstlichkeit sowie von Forschung und Kunst, über Umweltzerstörung, Klischees von Weiblichkeit und über die heutige Massenproduktion von Schnittblumen. Die künstlerischen Positionen geben somit ein vielfältiges Bild moderner und zeitgenössischer Darstellungen von Blumen in der Kunst und gehen der Frage nach, welche neuen inhaltlichen und medialen Bezugspunkte Künstler*innen seit Beginn des 20. Jahrhunderts setzen.
Die Themen der Ausstellung verbinden sich zu einem Rundgang, der nicht durch eine zeitliche Chronologie, sondern durch inhaltliche, sich zugleich auch verschränkende Schwerpunkte gegliedert ist.
Form und Farbe, um das Innere nach außen zu kehren
Begrüßt werden die Besucher*innen von Werken der Klassischen Moderne, in der besonders die Expressionist*innen das Blumenmotiv zum Experimentieren mit Form, Fläche und leuchtenden Farbe nutzten. Dabei kehren sie sich ab von botanischer Genauigkeit und einer Bestimmbarkeit des Dargestellten. Ihre malerische Freiheit verknüpften sie mit Farbe als Ausdrucksträger seelischer Zustände.
Gabriele Münter konfrontiert Lebenskraft mit Vergänglichkeit und greift damit die traditionelle Vanitas-Symbolik auf. Einer farblich leuchtenden und aufblühenden Blume platziert die Künstlerin eine verwelkte Blüte gegenüber. Gerahmt werden beide von einem dunklen Gewirr aus Stielen, das ein beunruhigendes Eigenleben zu führen scheint. Die gestische Pinselführung und der skizzenhafte Farbauftrag bei Ernst Ludwig Kirchner unterstreichen den Eindruck von Dynamik und können Ausdruck für seine seelische Angespanntheit sein. Bei aller Freiheit der Bildmittel verlor sich jedoch nicht die Bedeutung des Blumenstilllebens als Sinnbild für Vergänglichkeit.
Memento mori
Die Tradition des Memento mori – Bilder, die an die Vergänglichkeit erinnern – setzt sich bis heute fort. Das Motiv der welkenden Blume zeigt sich auch in neuen Präsentationsformen, etwa in der Installation der Künstlerin Quynh Dong. Sie vermengt in „Tears of a Swan“ (2013) Themen wie Vergänglichkeit, Kitsch und moderne Ästhetik. In Claire Morgans wunderschönen und zugleich verstörend wirkenden Hängeskulpturen verwendet sie organische Materialien in beträchtlichen Mengen, darunter Samen von Wildblumen, Pusteblumen und Disteln, aber auch Frucht- und Schmeißfliegen, Tierpräparate und Fetzen bunter Plastiktüten, die an Blütenblätter erinnern. Sie kreiert daraus zarte architektonische Konstruktionen, die durch einen Luftzug ohne weiteres zerstört werden können.
Botanische Studien
Schon im 17. Jahrhundert gab es mit den naturwissenschaftlichen Feldstudien eine frühe und enge Verknüpfung zwischen Kunst und Naturwissenschaft, die heute mit einem kritischen Umweltbewusstsein verbunden wird. Die mit Maria Sybilla Merian begründete Tradition der botanischen Studien reicht bis in die moderne und zeitgenössische Kunst. So bannt Anita Albus im Stile Merians und mit speziell angemischten Farben einzelne Blumen auf Papier, während Joos van de Plas sich explizit auf Merians Reisen und ihre botanischen Bücher bezieht, indem sie ihre Blumen in kitschigen Vasen mit Raupen und Schmetterlingen paart.
Auch der Fotograf Felix Dobbert schreibt sich in die Tradition der Pflanzenstudien ein, beschäftigt sich aber zugleich mit dem hochaktuellen Thema der künstlichen Intelligenz, in dem er die Blumen während der Fotoaufnahmen dreht und die Kamera so Leerstellen und Detailsequenzen schafft.
Als Vorbild und Anschauungsmaterial dienen Künstler*innen bis heute die Drucke von Karl Blossfeldt, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts dem intensiven Blumenstudium mithilfe der Fotografie widmete. Durch die stilistisch klaren und auf eine Blüte konzentrierten Arbeiten wurde er zu einem wichtigen Vertreter des Neuen Sehens. Die Dortmunder Künstlerin Stephanie Brysch hat sich etwa 100 Jahre später mit seinem Buch „Ursprung der Kunst“ beschäftigt und ein der Formenpracht frönendes Buchobjekt geschaffen.
Blumendarstellung und Massenmedien
In der Nachkriegsmoderne griffen Künstler*innen das Genre des Blumenstilllebens auf und verbanden es mit zeitgemäßen Fragen, Medien und Techniken. Die Pop Art hatte ihre Aufmerksamkeit auf Alltagsmotive gelenkt. Vorlage für das Blumenmotiv in Andy Warhols Serie „Flowers“ war eine Fotografie aus einer Zeitung. Die dort abgebildete Hibiskusblüte vereinfachte er zu einer dekorativen, vierblättrigen Blüte, zu einem Ornament, das in hoher Auflage reproduziert wurde. Warhol zeigt mit diesem Motiv nicht die individuelle Schönheit einer Blüte, sondern ein reproduzierbares Produkt der Kunst und somit der Konsumgesellschaft.
Bereits in den 1960er-Jahren nutzte auch Gerhard Richter Amateurfotografien als Bildquelle. Im Gegensatz zu Andy Warhols Imitation der massenmedialen Welt reflektiert Richter mit seinen Gemälden nach Fotovorlagen den Wahrheitsgehalt von Bildern. Mit traditionellem Vanitas-Symbole, etwa verwelkten Blumen, einer erlöschenden Kerze oder dem Totenkopf, greift auch er den Vergänglichkeitsgedanken auf. Indem er in den „Blumen“ von 1994 mit dem Pinsel über die noch feuchte Leinwand strich, erreichte er eine Ungenauigkeit der Konturen und Details. Durch seine besondere Maltechnik wirken die verwelkten und abgeknickten Amaryllen umso fragiler, und der dem Bild zugrunde liegende Vanitas-Gedanke wird zusätzlich geschärft – wichtige Beispiele für ein modernes Memento mori.
Zwischen Alltag und Künstlichkeit
Ebenso wie Andy Warhol und Gerhard Richter greift auch Hans-Peter Feldmann auf medial verbreitete Bilder zurück, gelangt aber zu einem Bildkonzept, das besonders Fragen nach der unscharf gewordenen Grenze zwischen Alltagswelt und Kunst aufwirft. Bereits in den 1960er-Jahren sammelte und ordnete er Medien und Materialien wie Amateurschnappschüsse, Postkarten, Bilder aus Zeitschriften oder andere Gegenstände unserer Alltags- und Erinnerungskultur. Seine großformatigen Farbfotografien von Schnittblumen in Nahaufnahme erinnern an Bildpostkarten aus den Sechzigerjahren oder an Amateurfotografien. Sie wirken vor dem monochromen Hintergrund und mittels ihrer überzogenen Vergrößerung artifiziell, fast steril und zugleich in ihrer nuancierten Farbigkeit auch wunderschön.
Gesellschaftliche Themen – Teilhabe, Wirtschaft, Feminismus
Auch bei gesellschaftspolitischen Themen spielen Blumen als Motive eine große Rolle. So setzt Joseph Beuys die Rose in den Kontext von Evolution und Revolution, und Annette Wehrmann erobert sich durch die Explosion in Blumenkübeln die Stadt zurück. Philipp Valenta verbindet seine aus internationalen Geldscheinen ausgeschnittenen Blüten mit Wortspielen sowie der Frage nach dem Wert von Kunst in einer globalisierten Welt.
Es ist nicht verwunderlich, dass gerade Künstlerinnen sich des Motivs bedienen. Durch die allgemeine Gleichung „Blume = weiblich“ haben sie sich mit dem Thema auseinandergesetzt und sich das Sujet angeeignet. Ulrike Rosenbach, Pipilotti Rist, Ursula Neugebauer oder Renate Bertlmann nutzen die „liebliche“ Blume, um gesellschaftspolitische und geschlechterspezifische Aussagen zu treffen und erweitern das Motiv um eine feministische Ebene.
„There is no such thing as nature anymore. It’s all culture now.“
Besonders in der zeitgenössischen Kunst setzen sich Künstler*innen mit Umwelt und Klimawandel auseinander. Martha Rosler und Andreas Gursky befassen sich mit der Massenproduktion von Blumen, während Anaïs Tondeur die Folgen einer Katastrophe wie Tschernobyl untersucht. Hito Steyerl hingegen nimmt den Gedanken von Zerstörung auf und spinnt mit ihren „Power Plants“ anhand künstlich erzeugter Blumen einen möglichen Neubeginn daraus. Das Sujet der Blume illustriert ebenfalls häufig die Manipulation der Umwelt. Dabei wird immer wieder auf das übergeordnete Thema der Künstlichkeit verwiesen, so bei den Doppelbelichtungen des Künstlerduos Peter Fischli und David Weiss oder bei den Gemälden von Marc Quinn.
Blumen verschenken, Freude bereiten
Im Empfangsbereich der Ausstellung sind eingesandte Blumen-Bilder von Besucher*innen zu sehen (Aktion „Schicke Blumen“). An drei Zeitspannen während der Laufzeit werden auch echte Blumen verschenkt: Mit der interaktiven Installation „Chaque Geste une Danse“ von Lee Mingwei lädt das MO dazu ein, sich beim Verlassen der Ausstellung eine Blume mitzunehmen und sie einer fremden Person zu schenken. So bringen Blumen Menschen einander näher.
Begleitende Ausstellungen, Installationen und Rahmenprogramm
Das Blumenmotiv durchläuft sichtbar das gesamte Dortmunder U. Bereits der Vorplatz erblüht dank der Kooperation mit dem Botanischen Garten Rombergpark, im Windfang zeigen Adolf Winkelmann und Hans Steingen die Tonfilm-Installation „Blumenwiese wackelt“, und im Lautsprecher auf der Ebene 4 lädt die Rauminstallation „Lifetime of a Flower“ von Jan Lankisch, Eiko Ishibashi und Jim O’Rourke zum Verweilen und zur Kontemplation ein. Vom 6. Mai bis 26. Juni zeigen zudem Studierende des Seminars für Kunst und Kunstwissenschaft der TU Dortmund unter dem Titel #KunstBlumen junge zeitgenössische Perspektiven und greifen die inhaltliche Aktualität des Sujets auf.
Unter Leitung von Maxa Zoller, Festivaldirektorin des Internationalen Frauen* Film Fest Dortmund+Köln, und entwickelt von der Filmkuratorin Betty Schiel, läuft im Kino im U an zwei Abenden ein Kurzfilmprogramm unter dem Titel „More than Flowers“.
Das Veranstaltungsprogramm rund um die Ausstellung reicht vom Wildblumenspaziergang und Blumenkranz-Workshop über ein Essen mit Blumen bis hin zu Führungen durch Botanischen Garten Rombergpark und Westfalenpark.
Eine Übersicht über alle Programmpunkte finden sie HIER
Autorin: Katrin Pinetzki