„Klare Kante!“ Sektion 2: Wir lassen es uns gutgehen

Es läuft alles nach den Vorstellungen vieler Menschen. Es geht gut und man lässt es sich auch gutgehen. Viele zeigen her, was sie haben, auch wenn man es sich eigentlich gar nicht leisten kann. Viele leben zumeist, ohne den Blick über den eigenen Horizont hinaus auf die Umwelt und die Mitmenschen zu wagen.

Was kümmern uns die anderen? Wir haben genug mit uns selbst zu tun!

Wir grenzen uns ab. Wir errichten uns Gebäude, in die wir nur uns selbst hineinlassen. Wir leben in freistehenden und eingezäunten Häusern, was bereits dem römischen Geschichtsschreiber Tacitus im ersten Jahrhundert in unserem Land besonders auffiel, woran sich bis heute nichts geändert zu haben scheint.

Es geht uns gut, weil viele Handwerkstraditionen die Jahrhunderte überdauert haben. Wir laufen aktuell Gefahr, diese binnen weniger Jahre unwiederbringlich zu verlieren.

Zeigen wir klare Kante für die Erhaltung des Handwerks und die Wertschätzung jeglicher Form der Arbeit.

Es geht uns gut, weil wir durch die Tätigkeit Anderer immer genügend Speisen auf dem Tisch haben, uns modisch kleiden und angemessen leben können.

Zeigen wir auch klare Kante für diejenigen, denen es nicht so gut geht. Freuen wir uns aber auch mit denjenigen, die sich etwas gönnen. Nehmen wir unsere Träume und Sehnsüchte an, ohne den neidischen Blick auf das sogenannte ,Bessere‘.

Lassen wir es uns gutgehen, indem wir die Freude am Schönen, an dem, was uns berührt und antreibt, zulassen.

Wer weiß, wie lange es uns noch gutgeht?

Lebendig liegt eine Hälfte der Welt wie Brigitta Heidtmanns Halbkugel auf dem Boden des Lebensraumes unterschiedlicher Besitzverhält­nisse, für die Anne Thoss und Elke Seppmann den Tisch und das Fleisch als Stellvertreter der Maßlosig­ und Nachhaltigkeit aufführen. Ich trage schöne Kleider, die Eva Vahjen aus dem Stoff der Kassenbons wob. Ich definiere mich nach Gabriele von Scheidt über mein Haus, obwohl ich meinem Nachbarn lieber aus dem Weg gehe.

Den Tanz des Lebens kombiniert Sophie Salzer mit der Lichtmetaphorik, die auch die Schatten des Begehrens tangiert. Die Ge­schichte des Brudermordes erzählt Margareta Detering als Urmythos der Menschheit, zu der auch das Mitgefühl gehört, der sich Andrea Freiberg und Thomas Klingberg mit besonde­rem Blick auf den Obdachlosen widmen.

Jeden Menschen treiben viele Verunsicherungen um, die Horst-D. Gölzenleuchter mit der Kettensäge in eine große Holzplatte fräste. Deren zarte Reflektion spiegelt das in Tania Mairitsch-Kortes Triptychon eingeschriebene Gedicht Sehnsucht von Hilde Domin wider.

Claudia Binder und Monika Pfeiffer konfrontieren uns mit den Folgen des Krieges und der Zerstörung, die nach Katrin Roth die Luft zum Atmen und nach Christiane Gerda Schmidt das Wasser betreffen. Davon ausgehend schickt uns Klaus Pfeiffer auf eine Spurensuche abseits der vom Menschen gemachten Natur, während Annika Hoffmann in einer Paradieswelt nach Artge­nossen sucht. Sie beschränken sich bei Karla Christoph auf virtuelle Freundschaftsanfragen, die auch Rita-Maria Schwalgin hinterfragt.

Viele wollen nach Doris Maile dabei sein und an den Strukturen der patriarchalischen Macht teilhaben, aus denen Bettina Mauel ihre Prota­gonistin befreit. Trotz all dem macht uns Anette Göke die Kunst als Motor des Menschseins bewusst. Rosa Fehr-von Ilten wagt mittels der schönen Aussicht den Blick auf die Brücken, die Ingrid Teiner errichtet. Uschi Bracker erlebt Erho­lung am Strand. Andrea Milz kämpft für die Weiblichkeit und Martina Lückener für die Bewusstmachung der eigenen Stärken.

Dirk Schmitt visualisiert die mutige Demonstra­tion einer attraktiven jungen Frau mit Prothese, die ihr Leben zu genießen scheint. Das Porträt der Rückenfigur aus der Werkgruppe ROBO SAPIENS steht Ulrich Heemanns Personifika­tion des alternden Körpers gegenüber, die vor Augen führt, dass sich – trotz aller technischer und medizinischer Fortschritte – der Prozess des Lebens nicht aufhalten lässt.

Text: Dr. Natalie Gutgesell