„Klare Kante!“ Sektion 6: Du hast auch eine Stimme!

Der Lebenslauf geht seinen Gang und wir erkennen, dass vieles nicht beeinflussbar ist, wie Krieg, Pandemie und Flutkatastrophen. Derartige Ereignisse lassen aber auch eine erhöhte Bereitschaft zur Solidarität entstehen. Durch kleine Aktionen wirkt jeder am Welterbe der Menschheit mit.

Nur wer sich selbst bewegt, kann etwas bewegen. Die gewohnte Laufbahn des Kreises kann auch als neue Impulsgeberin handeln. Die Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft bedingen einander und erschaffen elementare Innovationen. Werkstoffe, die sich in der Natur nie begegnen würden, führt die Kunst zusammen. Die fließende Farbe des blauen weichen Wassers verschmilzt organisch mit dem industriell hergestellten rotglühenden harten Metall. Durch das vermeintlich Zufällige gelingt es uns, Widersprüche auszuhalten. Problematischer erscheint dagegen die Ruhe vor dem Sturm, da man nicht weiß, was kommt und aus allen Ecken hunderte an Meinungen auf uns hereinströmen.

Währenddessen balanciert der Globus des Lebens das Ein- und Ausatmen, den Aufschrei, den Werk- und Kulturschutz, die Form der Dinge, die Lebensalter, die physische und psychische Migration, die Erinnerung, vor allem aber die Hoffnung.

Klare Kante zeigt sich durch die Vielheit in der Einheit und die Einheit in der Vielheit. Sie agiert als „Geschichte im Gedächtnis der Gegenwart“. Zukünftiges „Zusammenleben braucht eine gemeinsame Geschichte“, wofür die Friedenpreisträgerin Aleida Assmann ganz besonders plädiert.  

Empfinden, Entwerfen und Errichten eines Brückenschlags erfordert klare Kante!

Indem du deine Stimme erhebst, trägst du durch deine eigene Geschichte zum Erhalt des kollektiven Lebensraums bei, bevor sich am Ende das Buch unserer Geschichten von selbst schließt. In der Zwischenzeit kommt es darauf an, was man selbst daraus macht!

Möchtest nicht auch du einmal wieder deine Stimme abgeben?

Als eine der wesentlichen Grundlagen der Gesellschaft visualisiert Brigitte Bailer die Individualität im Kollektiv. Ihre Reihe der Werke im Werk verkörpert die Verschmelzung der Innovation mit einer charakteristischen Formen­sprache. Die Ästhetik der regelmäßigen Form und Schönheit der Mathematik darzustellen, sieht Irene Schramm-Biermanns als Grund­lage ihrer künstlerischen Arbeit an, die auf den Ursprung der Kunst in der geometrischen Form verweist. Annette Riemann löst die Form aus und führt ihre abstrahierte Landschaft auf zwei Fluchtpunkte zu, an denen Suria Kassimi in verschlungenen Linien die Vergänglichkeit mit der Ewigkeit gleichsetzt. Es gibt dort keinen zentralen Punkt und keine Klarheit, wie sie Viorel Chireas malerischer Himmel und Anne Fiedlers Boote als Vorahnungen auf eine ungewisse Zukunft anzukündigen scheinen.

Jeder Sachverhalt lebt durch mindestens einen Unterschied. Die klassischen Säulen unter­scheiden sich voneinander durch ihre Kapitelle, die Ulla Rosenbaum ad naturam an antiken Architekturstätten zeichnerisch aufnahm und später im Atelier bewusst abstrahierte. Die Bewusstmachung für die Regelmäßigkeit der Form repräsentiert Christina Koester in ihrer Skulptur, die die Ausgeglichenheit der klaren Positionierung und des Selbstschutzes ver­körpert. Diese Balance schenkt uns nach Angelika Weinekötter die Luft zum Atmen, die wie die Gezeiten des Lebensmeeres agiert, in dem aktuell eher Ebbe als Flut vorherrscht. Aus diesem Grund wagt Dagmar Vogt den Aufschrei, wie Edvard Munch auf seinem berühmten Gemälde, das als Inspiration für die Maske in dem Horrorfilm Scream diente.

Hinter den Masken der Vorwände vergessen wir oft die Zwischenmenschlichkeit. Axel M. Mosler verleiht dem harten Stein weiche, grüne Kanten, die dieses Bewusstsein schärfen und erhalten sollen. Machen wir uns bewusst, dass das russische Ballett nach wie vor zum Welterbe der Menschheit zählt. Mariele Koschmieder schärft den Blick für die Gefahr einer plötzlichen Verengung der Perspektive.

Die Hoffnung auf eine tolerante Erweiterung der Perspektive trägt die Jugend weiter, die mehr Potential in sich birgt als die ,Verliererrolle‘ in der Coronakrise, auf die Marion Müller-Schroll zu Recht hinweist und damit klare Kante beweist. Die Basis der klaren Kante bildet nach John Michael Bachem die Erinnerung, die in der eigenen Familie beginnt und die Vernetzung mit dem Kommenden verlebendigt.

Text: Dr. Natalie Gutgesell