„The Searcher“ von Roy Villevoye im Museum Ostwall | Foto: Jürgen Spiler

Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts: Die MO_Sammlung

Im Museum Ostwall im Dortmunder U ist die Kunstsammlung der Stadt Dortmund mit Werken aus dem 20. und 21. Jahrhundert zuhause. Malereien und Skulpturen aus der Zeit der Klassischen Moderne (1900 bis 1945) bilden dabei ebenso einen Schwerpunkt wie Kunstwerke, Aktionsrelikte und Dokumente aus der Zeit des Fluxus (Ende der 1950er bis in die 1970er Jahre). In den letzten Jahren kamen vor allem Arbeiten von zeitgenössischen Künstler*innen hinzu, die sich mit lebensnahen oder gesellschaftsrelevanten Themen befassen. Insgesamt beherberg das Museum in seiner Sammlung rund 7500 Werke. Den Großteil, ca. zwei Drittel, bilden Werke auf und aus Papier. Das übrige Drittel umfasst Malereien, Skulpturen, Objekte, Fotografien, Videos, Raum- und Medieninstallationen.

Schwerpunkte der Sammlung:

Gegründet wurde die Sammlung des Museums Ostwall 1947. Direktorin Leonie Reygers, die „Am Ostwall“ eigentlich nur eine Ausstellungshalle leiten sollte, begann schon früh damit, Werke anzukaufen. Mit ihren Ausstellungen gab sie einerseits lokalen Künstler*innen die Möglichkeit, ihre Werke zu zeigen, vor allem aber ging es ihr darum, die Kunst der Klassischen Moderne, die während des Nationalsozialismus (1933-1945) als „entartet“ diffamiert worden war, zu rehabilitieren. Sie konzentrierte sich dabei vor allem auf Werke des deutschen Expressionismus, einer Kunstrichtung, die weniger die Abbildung der Wirklichkeit als vielmehr die Empfindungen, die diese in den Künstler*innen auslöste, in ihren Kunstwerken auszudrücken versuchte. Außerdem sammelte sie klassische und zeitgenössische französische Kunst, vor allem Grafiken von Picasso. Oft kaufte Reygers Arbeiten auf Papier, weil diese sehr viel günstiger als Gemälde waren und den Dortmunder*innen so mit geringem Budget eine größere Bandbreite künstlerischer Positionen geboten werden konnte. Der „große Wurf“ gelang Leonie Reygers 1957: Sie überzeugte die Stadt Dortmund, die expressionistische Sammlung des Bochumer Industriellen Karl Gröppel für das Museum Ostwall anzukaufen. In den folgenden Jahren wurde die Sammlung sukzessive durch Ankäufe aus der Zeit der Klassischen Modere erweitert, so dass sich heute u.a. Werke von Käthe Kollwitz, Karl Hofer, Henri Laurens, August Macke, Paula Modersohn-Becker, Otto Mueller, Emil Nolde, Max Pechstein, Pablo Picasso, Karl Schmidt-Rottluff oder Alexey von Jawlensky in der Sammlung des MO befinden. Als einer der wenigen Surrealisten in Max Ernst mit einigen Arbeiten vertreten. Das wohl wichtigste Gemälde der Klassischen Moderne dürfte das „Selbstbildnis mit Zigarette“ von Max Beckmann sein: Es zeigt den Künstler, der sich selbst in allen Phasen seines Lebens in Selbstportraits inszenierte, 1947 nach seiner Ankunft in den USA, wo er nach Jahren der Demütigung und Diskriminierung im nationalsozialistischen Deutschland, sein Spätwerk schuf. Eine Auswahl wichtiger Werke aus der Expressionistischen Sammlung findet sich in dem 2019 erschienenen Katalog „Expressionismus & Klassische Moderne aus der Sammlung des Museums Ostwall im Dortmunder U.“

Paula Modersohn-Becker – Mutter mit Kind auf dem Arm, Halbakt, 1906
Paula Modersohn-Becker – Mutter mit Kind auf dem Arm, Halbakt, 1906
Max Beckmann – Selbstbildnis mit Zigarette, 1947. Foto: Jürgen Spiler

Ein zweiter Schwerpunkt der MO_Sammlung sind Werke, Aktionsrelikte und Dokumente der Fluxus-Bewegung und verwandter Kunstformen seit den späten 1950er Jahren. Eugen Thiemann, Leonie Reygers Nachfolger, brachte mit seinen Ausstellungen zunehmend zeitgenössische Kunst ins Museum. Neben Malerei und Skulptur waren nun nicht mehr nur die sogenannten „Neuen Medien“ Fotografie und Videokunst im MO vertreten, sondern auch Environments und Aktionskunst. Es ist Eugen Thiemann, der schon 1970 den Kontakt zu dem Remscheider Werkzeugfabrikanten Wolfgang Feelisch knüpft, der aus Begeisterung für die zeitgenössische Kunst Ender der 1960er Jahre den „VICE-Verlag“ gegründet hatte, bei dem man für 8 D-Mark kleine Kunstwerke, die in mehreren Exemplaren produziert wurden (sog. Multiples), erwerben konnte. 1970 wurden erstmals Werke aus der Fluxus-Sammlung Wolfgang Feelischs im MO ausgestellt, und Feelisch wirkte als Berater und Teilnehmer an Ausstellungen von Fuxus-Künstlern wie Milan Knizak oder Aktionen Allan Kaprow mit, zum Beispiel 1986 an Kaprows Happening „A Perfect Bed“: Auf der Suche nach dem perfekten Schlafplatz trugen Feelisch und Kaprow ein Bett durch die Dortmunder Fußgängerzone, und animierten die verwunderten Passant*innen, darüber nachzudenken, was das „perfekte Bett“ ausmacht. Fluxus, Happening und Aktionskunst dieser Zeit waren Kunstformen, die versuchten, die Kunst aus ihrem Elfenbeintum zu befreien und wieder stärker mit dem Leben zu verbinden. Die Künstler*innen griffen gesellschaftspolitische Themen auf oder untersuchten in ihren Werken alltägliche Handlungen, was die Betrachter*innen dazu veranlasste, über ihre Alltag zu reflektieren. Aus Beobachter*innen wurden nun Teilnehmer*innen: Statt sich passiv dem Kunstgenuss hinzugeben, war das Publikum nun eingeladen, aktiv an Happenings mitzuwirken oder Kunstwerke zu benutzen. 1988 wurden erste Werke aus der Sammlung Feelisch für das MO angekauft, darunter – neben zahlreichen Werken von Joseph Beuys – zum Beispiel der „Schallplatten-Schaschlik“ von Nam June Paik, an dem das Publikum ursprünglich mit einem losen Platenspieler-Arm mit frühen Formen von Scratching und Sampling experimentieren konnte, oder George Brechts „Three Chair Event“, das zum kreativen Umgang mit drei verschiedenen Sitzgelegenheiten animiert. Kunst, die sich mit Alltagsthemen und –objekten beschäftigte, spielte auch in den 1990er Jahren eine Rolle, als Thiemanns Nachfolger Ingo Bartsch Werke aus der Sammlung Siegfried Cremers ankaufte, darunter viele Arbeiten des Nouveau Réalisme (Anfang der 1960er Jahre), wie zum Beispiel Daniel Spoerris „Tableau piège“, ein sogenanntes „Fallenbild“, das die Überbleibsel eines Nachmittags im Café mit „Marianne“ auf einem Holzteller versammelt und so einen schönen Augenblick einfängt. Auch kamen aus der Sammlung Cremer viele Arbeiten des „genialen Dilettanten“ Dieter Roth in das MO, der jeden Schnipsel seines Alltags – von Tagebuchkritzeleien bis zu Plockwurs und Käse – in Kunst verwandelte. 2010 konnte der Fluxus-Schwerpunkt des MO noch einmal deutlich ausgebaut werden: Mit dem Ankauf weiterer Werke aus der Sammlung Feelisch (sowie der Werbung zahlreicher Dauerleihnahmen aus den Sammlungen Lieff und Spankus) legte Direktor Kurt Wettengl die Ausrichtung auf „Kunst und Leben“ für das neu in das Dortmunder U umgezogene Museum Ostwall endgültig programmatisch fest. Begleitend zum Ankauf der Werke erschien der Katalog „Fluxus – Kunst für Alle! Die Sammlung Feelisch.“

Die wichtigsten Künstler*innen des Fluxus, Happenings und verwandter Kunstformen bzw. jene von denen sich größere Konvolute in der MO_Sammlung befinden, sind Joseph Beuys, George Brecht, Robert Filliou, Allan Kaprow, Milan Knizak, Dieter Roth, Takako Saito oder Wolf Vostell, dessen begehbare, an Konzentrationslager der Geschichte und Gegenwart erinnernde Rauminstallation „Thermoelektronischer Kaugummi“ schon 1971 in das MO kam und bis heute zu den wichtigsten Werken der Sammlung gehört.

Takako Saito: Nadelkissen Schach, 1984
Foto: Jürgen Spiler
Nam June Paik
Schallplatten-Schaschlik , 1963/1980
Wolf Vostell Thermo-Elektronischer Kaugummi (T.E.K.), 1970
Foto: Jürgen Spiler

Über die Jahre hinweg haben die Direktor*innen des MO stets auch Werke zeitgenössischer Künstler*innen angekauft oder als Dauerleihgabe angeworben. Seit rund 15 Jahren, spätestens jedoch seit dem Umzug des Museums in das Dortmunder U und der damit verbundenen programmatschen Neuausrichtung auf „Kunst und Leben“ ist ein Schwerpunkt der Sammlungspolitik, Künstler*innen in die Sammlung aufzunehmen, die sich mit lebensnahen Themen beschäftigen. Direktor Kurt Wettengl skizzierte hierfür in Anlehnung an den Kunsthistoriker Alexander Dorner das Bild vom „Museum als Kraftwerk“, das Impulse aus der Gegenwart aufnehmen und in den Alltag seiner Besucher*innen hinein wirken will. Neben dem Ausbau des Fluxus-Schwerpunktes wurden daher in den letzten Jahren vor allem Kunstwerke für die Sammlung des MO erworben oder als Schenkung angenommen, die sich mit Themen wie sozialer Ungleichheit, Migration, Strukturwandel, Gender, Feminismus, Ökologie, Krieg, Religion Alltagskultur oder Kritik am Kunstbetrieb beschäftigen. Beispiele hierfür sind die Rauminstallation „Frankenstein in the Age of Biotechnology“ und weitere Arbeiten Mark Dions, Video- und Fotoarbeiten von Adrian Paci, die sich mit der Flucht vor dem albanischen Bürgerkrieg befassen, Fotografien Tobias Zielonys über soziale Orte von Jugendlichen aus den Serien „Tankstelle“ und „Behind the Block“, Werke Martin Brand oder Nan Goldin, die ihr Augenmerk auf Geschlechterrollen richten, Freya Hattenbergers konfrontative Videos, in denen sie ihre Rolle als Frau in der Gesellschaft reflektiert, ein umfangreiches Konvolut von Timm Ullrichs, dass verschiedenste Aspekte der Alltagskultur reflektiert, oder Michael Landy’s „Donation Box“ aus der Serie „Saints Alive“, die humorvoll unser Verhältnis zu Religion hinterfragt.

Die hier skizzierten Schwerpunkte zeigen nur einen Ausschnitt der MO_Sammlung. Wie jede Kunstsammlung, die von verschiedenen Sammler*innen – in diesem Fall: Direktor*innen – zusammengetragen wurde, gibt es auch in der Sammlung des MO Verdichtungen und „lose Enden“. Jede*r Direktor*in hat neben den genannten auch eigene Schwerpunkte gesetzt, Leonie Reygers zum Beispiel legte die Basis für ein kleines, aber feines Konvolut Naiver Malerei; Eugen Thiemann holte zahlreiche Werke der Kunstbewegung Zero ins Haus, die nach dem Zweiten Weltkrieg Kunst aus Licht schuf und stellte ihnen die gestische Malerei des Informel gegenüber. Ingo Bartsch erweiterte den Bereich Informel, und erwarb außerdem Konkrete und zeitgenössische italienische Kunst. z.B. im Bereich informelle Malerei. Auch kamen Werke in die Sammlung, die die Stadt Dortmund in anderen Kontexten erworben hatte und die nun wissenschaftlich und konservatorisch betreut werden müssen, wie beispielsweise neun großformatige, teils ortspezifische Rauminstallationen aus der Ausstellung „Vision Ruhr“ im Jahr 2000 auf der Zeche Zollern II/IV oder 272 größtenteils aus dem Nachlass stammende Exponate des Dortmunder Künstlers Bernhard Hoetger.

Einen Einblick in die Bandbreite der Sammlung bietet das 2010 erschienene Buch „Das Museum als Kraftwerk. Die Sammlung des Museums Ostwall.“

Für zukünftige Sammlungserweiterungen haben wir uns vorgenommen, wenn möglich, bestehende Lücken zu schließen, z.B. im Bereich der Klassischen Moderne bei den Kunstrichtungen Dada, Surrealismus oder Konstruktivismus, oder im Bereich der feministischen Kunst der 1960er bis 1980er Jahre. Vor allem aber wollen wir unseren Fokus auf zeitgenössische Positionen richten, die sich mit aktuellen lebensnahen und gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigen. Da in unserer Sammlung – wie in den meisten europäischen Kunstmuseen – überwiegen Positionen von Künstlern aus (West-)Europa und den USA vertreten sind, wollen wir zukünftig verstärkt auch außereuropäische Positionen und Werke von Künstlerinnen in den Blick nehmen, um so die Diversifizierung der künstlerischen Positionen entlang des Leitfadens „Kunst und Leben“ voranzutreiben.

Für die Besucher*innen des Museum Ostwall zeigen wir auf den Ebenen 4 und 5 des Dortmunder U in zwei- bis dreijährigem Wechsel eine Auswahl unserer Sammlung, die wir jeweils unter einem spezifischen Thema zusammenfassen. Ein aktueller Text zur jeweiligen Sammlungspräsentation findet sich unter dem Punkt Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm.