Künstlerinnen in Expressionismus und Fluxus – „Tell these people who I am“
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Fluxus, Feminismus und die Kunst der 1960er- und 1970er-Jahre
„Fluxus can be lots of fun, if the boys let you on their boat.“
– Carolee Schneemann
Dem Werk von Künstlerinnen wurde, auch im Bereich Fluxus und verwandter Kunstformen, in der Vergangenheit zumeist geringere Aufmerksamkeit geschenkt – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Erst in den letzten Jahren widmen sich Kunstinstitutionen verstärkt der künstlerischen Arbeit von Frauen.
Die Publikation Womens Work machte Mitte der 1970er-Jahre Arbeiten von Künstler*innen sichtbar, die im Kontext von Fluxus und verwandten Kunstformen entstanden waren, in den ersten, selbstherausgegebenen Veröffentlichungen der Bewegung jedoch nicht oder kaum vorkamen. Die 1975 veröffentlichte Zeitschrift, herausgegeben von der Komponistin Annea Lockwood und der Fluxus-Künstlerin Alison Knowles, ist ein Beispiel für die Selbstermächtigung von Künstlerinnen in einer von Männern dominierten Kunstwelt. Die Publikation reiht sich ein in eine Tradition von Fluxus-Veröffentlichungen , die wie George Maciunas’ Fluxus 1 (1964) und La Monte Youngs An Anthology (1963) dazu dienten, kreative Ideen außerhalb etablierter Strukturen des Kunstmarkts zu verbreiten. Fluxus-Künstler Nam June Paik beschrieb die Situation innerhalb des Kunstsystems folgendermaßen: „The problem of the art world in the 60s and 70s is that although the artists own the production’s medium, such as paint brush, even sometimes a printing press, they are excluded from the highly centralised distribution system of the art world.“
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In Womens Work enthaltene Werke wie Mieko Shiomis Spatial Poems (1965-1975), Alison Knowles’ Proposition IV (1970) und Annea Lockwoods Piano Transplants (1969-1972) wurden bereits vor Veröffentlichung aufgeführt und verdeutlichen, dass es nicht um die Schaffung neuer Werke, sondern um die Sichtbarmachung der Vielzahl an weiblicher Kunst ging. Damit wird deutlich, dass Frauen in der Kunstszene der 1960er- und 1970er-Jahre bereits stark vertreten waren, aber oft übersehen wurden. Lockwood betonte: „Es sollte gezeigt werden, dass es eine Fülle von Arbeiten von Frauen gibt, nicht nur vereinzelte Beispiele.“
„These are scores ready for you to do“, steht im Vorwort der Publikation. Dieser Aufforderung werden während des Ausstellungszeitraums zeitgenössische Künstlerinnen nachkommen und ausgewählte Handlungsaufforderungen aus Womens Work umsetzen.
Künstlerinnen des Fluxus
„Fluxus was open to anyone who shared similar thoughts about art and life. That’s why women artists could be so active without feeling any frustration“
– Mieko Shiomi
Fluxus entstand in den frühen 1960er-Jahren. Die Kerngruppe der Bewegung versammelte sich um den Verleger, Organisator und das selbst ernannte Mastermind George Maciunas. Typisch für Fluxus ist der Einsatz alltäglicher Gegenstände und die Abbildung einfacher Aktivitäten. So wurden beispielsweise Alltagshandlungen wie das Zubereiten von Mahlzeiten oder das Lesen einer Zeitung zu Kunst erhoben, mit dem Ziel, neue Sichtweisen auf das eigene Leben zu entwickeln. Die hier gezeigten Werke von Fluxus-Künstlerinnen zeigen verschieden Aspekte der Bewegung: den Einfluss von Musik auf ihre Performances, den Umgang mit Alltagsobjekten, aber auch die wichtige Rolle von Netzwerken.
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Die kunsthistorische Rezeption von Charlotte Moorman sagt viel darüber aus, wie Künstlerinnen in Kollaborationen oder Gruppenzusammenhängen oft wahrgenommen wurden. In ihrer Zusammenarbeit mit dem Multimedia-Künstler Nam June Paik wurde sie zunächst vor allem als dessen Muse wahrgenommen. Seine Arbeit Charlotte Memory (2005) stellt hingegen eine Hommage des Künstlers an Charlotte Moorman als Performerin dar. Die gemeinsamen Performances von Paik und Moorman zeichneten sich durch die Verbindung von Moormans Cellospiel und Paiks multimedialem Einsatz von Technik aus. Moorman, die ausgebildete Cellistin war, wurde 1967 bei der Aufführung der gemeinsamen Opera Sextronique wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses festgenommen, weil sie mit nacktem Oberkörper spielte. Charlotte Moorman wurde in der Folge als „topless cellist“ gelabelt, wodurch ihr Körper anstelle ihres musikalischen Talents in den Vordergrund rückte. Zuschreibungen wie diese untergruben lange Zeit ihre Wahrnehmung als gleichbeteiligte Kollaborateurin und prägten ihr Bild als Muse des Medienkunstpioniers Paik. Paik stellt dieser Wahrnehmung in seiner Hommage das Bild einer selbstbewussten Performerin entgegen, die ihren eigenen Körper selbstbestimmt einsetzt. Nacktheit wurde von Künstlerinnen in den 1960er- und 1970er-Jahre oft genutzt, um zu demonstrieren, wie unfrei der weibliche Körper und damit letztendlich die Frauen selbst zu dieser Zeit waren. Auch Moorman verstand ihre Nacktheit als Machtinstrument, das Provokation auslöste.
Charlotte Moorman war jedoch nicht nur Performerin, sondern auch wichtige Netzwerkerin. Außerdem entwickelte sie eigene Objekte, z. B. mit dem Verleger Francesco Conz. In dessen Sammlung finden sich heute auch Unikate wie eines ihrer Bomb Cellos (1984), von Moorman geschaffene Instrumente, die sie in Performances einsetzte, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren, beispielsweise auf der Chicago Art Expo im Jahr 1984.
Werke von Künstlerinnen im Kontext der Frauenbewegung
„When was art ever outside of power, politics and history?“
– Mónica Mayer
Die internationale Kunstszene der 1960er- und 1970er-Jahre war in vielen Ländern von einer performativen Auseinandersetzung mit dem Alltäglichen geprägt. In den Avantgarde-Bewegungen dieser Zeit, zu der Performance und Happening, aber auch Body und Video Art zählten, wurde dabei oft der eigene Körper eingesetzt. Zur selben Zeit wuchs auch die internationale Frauenbewegung, die – nicht nur in Europa und den USA – gegen die fehlende Gleichberechtigung von Frauen kämpfte. Viele Künstlerinnen begannen, feministische Themen in ihrer Kunst aufzugreifen. Dabei ging es oft um den selbstbewussten Umgang mit dem eigenen Körper und das Aufzeigen von Machtmissbrauch und Ungerechtigkeiten des patriarchalen Systems. Oft standen hierbei Strategien der Selbstrepräsentation im Mittelpunkt, mit denen die Künstlerinnen gegen stereotype Darstellungen von Frauen vorgingen. Sie schufen vielfältige neue Darstellungen weiblicher Identitäten. Visuelle Medien wie Fotografie, Film und Video spielten dabei eine entscheidende Rolle, um ihre Performances einem breiten Publikum zugänglich zu machen und ihre Bedeutung festzuhalten.
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Sorgearbeit und Mutterschaft
„The personal is political“
– Carol Hanisch
Im Kontext der Frauenbewegung begannen sich Künstlerinnen der 1960er- und 1970er-Jahre zunehmend auch mit familiären und geschlechtsspezifischen Rollenzuschreibungen auseinanderzusetzen und die oft abwertende Wahrnehmung sowie die unsichtbaren Aspekte von Care-Arbeit zu thematisieren. „Das Private ist politisch“ – dieses zentrale Motto des Women’s Liberation Movement lenkte den Blick auf die weitreichenden Auswirkungen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und deren Konsequenzen für die berufliche Selbstverwirklichung von Frauen.
Die „Mail Art“-Projekte von Mieko Shiomi, Spatial Poem No. 1–9 (1965–1975) und Flux Balance (1993–1995) zeigen eine Lösungsstrategie der Künstlerin zur Vereinbarkeit von künstlerischer Karriere und Care-Arbeit. Shiomi, die zunächst zum Kern der Fluxus-Gruppe gehörte, kehrte 1965 nach Japan zurück, da sie in ihrem Familiensystem Betreuungsarbeit leisten musste. Deshalb war es ihr nicht möglich, für den direkten persönlichen Austausch, für künstlerische Projekte oder für die Teilnahme an Festivals oder Events zu reisen. Von da an realisierte sie ihre kollaborativen Kunstwerke oft in Form von Mail Art, einer Kunstform, die sich über den postalischen Weg verbreitet und Antworten über Einsendungen einfordert.
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Liebe, Ehe, Partnerschaft und Kunst
„Love is my inspiration“
– Dorothy Iannone
Die Auseinandersetzung mit dem alltäglichen Leben als charakterisierendes Merkmal des Fluxus und verwandter Kunstformen bezieht auch die persönlichen Beziehungen der Künstler*innen untereinander ein: Zwei männliche Protagonisten der Fluxus-Bewegung – George Maciunas und Geoffrey Hendricks – verarbeiteten ihre Hochzeit bzw. ihre Scheidung in Fluxus-Objekten. Künstler*innen wie Yoko Ono und John Lennon, Dorothy Iannone und Dieter Roth sowie Alison Knowles und Dick Higgins führten jeweils Liebesbeziehungen miteinander, die sich ebenfalls in ihrem künstlerischen Schaffen niederschlugen.
Der zur damaligen Zeit gängige Spruch „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau“ deutet auf die durch die Frauenbewegung problematisierte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung hin. Diese ermöglichte den meist männlichen „Künstlergenies“ oft erst ihre Karriere. Diese übernahmen zum Teil die Ideen, Konzepte und Werke der Frauen, die dadurch in das männliche Schaffen übergingen und im Rahmen dessen wahrgenommen wurden.
Die Arbeiten der hier präsentierten Paare zeigen ein anderes Verständnis von Partnerschaft. Die Paare arbeiteten kollaborativ und verfolgten gemeinsame Projekte, ermöglichten es sich gegenseitig, zum Teil trotz Kindern, weiter künstlerisch tätig zu sein oder nutzen ihre Beziehung als Inspirationsquelle.