Planung einer Sammlungspräsentation – Ein Interview mit Dr. Nicole Grothe

Seit Februar 2020 ist im Museum Ostwall die Sammlungspräsentation „Body & Soul. Denken. Fühlen. Zähneputzen“ zu sehen. Auch wenn diese noch bis zum November dieses Jahres läuft, ist die Planung der nächsten Ausstellung schon im Gange.
Dr. Nicole Grothe ist als Kuratorin der Sammlungspräsentationen des Museums Ostwall maßgeblich für die Konzeption verantwortlich. Wir haben mit ihr gesprochen und nachgefragt, wie eine Ausstellung bzw. Sammlungspräsentation kuratiert wird, was dabei zu beachten ist, und welche Herausforderungen es hierbei gibt.

Zum Einstieg wollen wir kurz auf die aktuelle Sammlungspräsentation „Body & Soul. Denken, Fühlen, Zähneputzen“ eingehen. Was gefällt dir persönlich besonders gut an „Body & Soul“?

Die aktuelle Sammlungspräsentation ist insofern eine sehr besondere, als dass die beiden Ausstellungsetagen grundlegend umgebaut wurden. Dabei wurde nicht nur die Werkauswahl verändert, sondern quasi das gesamte Museum Ostwall neu konzipiert. Hierbei war es das Ziel, eine angenehmere Aufenthaltsatmosphäre zu schaffen, in der sich die Besucher*innen wohler fühlen und das Museum allgemein zugänglicher wird. Das betrifft beispielsweise das Farbkonzept oder auch Orte wie das „Flux Inn“, das eine kreativere Auseinandersetzung mit der Kunst fördert. Es soll also nicht bloß „Kunst auf weißer Wand“ präsentiert, sondern auch eine emotionale Ebene geschaffen werden.

Wir wollen dabei das Interesse von verschiedenen Besuchergruppen wecken. Zum einen ist da das „klassische“ Kunstpublikum – das heißt Kunstexpert*innen und ohnehin Kunstinteressierte. Für diese Leute bieten wir beispielsweise wissenschaftliche Vorträge und Diskussionen an. Darüber hinaus möchten wir aber auch Personen ansprechen, die nicht schon seit dem Kindesalter mit Kunst und Museen in Kontakt gekommen sind. Deshalb präsentieren wir unsere Kunst immer auch mit einem Alltagsbezug, was sich auch schon im Titel der aktuellen Sammlungspräsentation widerspiegelt. Und ich glaube, dieses Ziel haben wir in der Sammlungspräsentation „Body & Soul“ auf jeden Fall erreicht.

Dr. Nicole Grothe im Flux Inn“

„Body & Soul“ wurde ja erst vor kurzem verlängert und läuft noch bis zum 13. November diesen Jahres. Ihr plant aber bereits die nächste Sammlungspräsentation. Gibt es denn neben der offensichtlichen Änderung der gezeigten Kunstwerke weitere Dinge, die sich ändern werden? Habt ihr beispielsweise Anregungen von Besucher*innen erhalten, die ihr berücksichtigen wollt?

Am Ausgang des Museums können Besucher*innen mit Post-its Anregungen hinterlassen.

Dabei ist die Kritik insgesamt durchaus positiv, aber vor allem auch sehr konstruktiv. Es gab beispielsweise ein paar Besucher*innen, die sich bei bestimmten Werken eine Trigger-Warnung gewünscht hätten. Es ist natürlich bei der Konzeption einer Sammlungspräsentation immer schwierig abzuschätzen, welche Werke potenzielle Trigger sein könnten, bei denen man eine Warnung angeben müsste. Dennoch habe ich durch „Body & Soul“ gelernt, dass gewisse Dinge in der gezeigten Form nicht funktionieren. Als Beispiel lässt sich hier das Gemälde „Afternoon“ von Max Beckmann anführen: Auf dem Bild ist eine weiße Frau zu sehen, die von einem halb Mensch, halb tier-artigen Wesen mit dunkler Haut angefallen wird. Die Frau wird von diesem Wesen attackiert und wehrt dieses ab. Es handelt sich um eine Darstellung sexualisierter Gewalt, die aus meiner Sicht auch einen rassistischen Unterton hat. Diese Interpretation wurde in der letzten Präsentation auf dem Objektschild erläutert; in der aktuellen Sammlungspräsentation werden solche kritischen Kommentare zu Werken in das Besucherheft integriert. Das funktioniert nicht so gut, weil das Heft nicht von jedem*jeder Besucher*in gelesen wird, oder man erst lange blättern muss, um den kritischen Kommentar zu finden. Das wird der Diskussion über problematische Aspekte von Kunstwerken nicht gerecht, weshalb wir überlegen, wie wir Dinge, die wir kritisch hinterfragen müssen und auch möchten, besser sichtbar machen können.

Dazu wollen wir drei Räume in der nächsten Ausstellung installieren, in die einen Blick hinter die Kulissen ermöglichen. Denn wenn es um „Kunst und Alltag“ geht, möchten wir auch gerne unseren eigenen Alltag etwas sichtbarer machen. Hier können wir beispielsweise zeigen, wo die Kunstwerke sind, die gerade nicht hier sind. Viele befinden sich natürlich in unserem Depot, aber viele befinden sich auch im Leihverkehr mit anderen Museen. Hier können wir auch näher erklären, wie das Verleihen von Kunstwerken im Detail überhaupt funktioniert.

Ein anderer Blick hinter die Kulissen wäre die Provenienzforschung. Leonie Reygers hatte damals sehr viel klassische Moderne angekauft, was an sich ja eine gute Sache ist. Aber wie alle Museen müssen wir uns heutzutage fragen, wo genau die Kunstwerke eigentlich herkommen, und ob die Werke damals rechtmäßig ihren Weg in unsere Sammlung gefunden haben. Das zu erforschen ist eine sehr wichtige Aufgabe von Museen, von der die Menschen bei ihrem Besuch aber meist nichts mitbekommen.

Dabei fällt mir auch noch die Restauration von Kunstwerken ein, die ja auch nicht vor den Augen der Besucher*innen stattfindet. Auf der Ausstellungsfläche selbst ist es nicht ersichtlich, wie viel Arbeit dahinter steckt. Unser Wunsch ist es, das alles etwas transparenter zu machen.

Du sprichst jetzt schon an, was man alles bedenken muss, wenn man eine Sammlungspräsentation konzipiert. Aber wo und wie beginnt man überhaupt, eine neue Sammlungspräsentation zu planen?

Tatsächlich fängt man zuerst mit der Themenfindung an. Hierbei stellt man sich die Frage: Was könnte ein Thema sein, das die Leute interessiert und bewegt? Bei der nächsten Sammlungspräsentation kommt aber noch hinzu, dass es von kommunaler Seite den Wunsch gab, etwas zur Person und zur Arbeit von Leonie Reygers zu machen, die die Gründungsdirektorin des Museums Ostwall war. Ich wollte alleidings keine historische oder dokumentarische Ausstellung zu Leonie Reygers machen, weil das mehr als 70 Jahre nach Gründung des Museums wahrscheinlich nur einen sehr kleinen Kreis interessiert. Also haben wir uns zu einer kritischen Reflexion der von Leonie Reygers begonnen Geschichte des MO entschieden. Als Team interessiert uns die aktuelle, übergreifende Debatte , wie man Museen zugänglicher für Besucher*innen machen kann, wie man diese an der Museumsarbeit partizipieren lassen kann oder auch, wie man Diversität in Museen besser sichtbar machen und praktizieren kann. Und da ist es spannend zu sehen, , dass viele Fragen dieser heutigen Diskussion auch schon von Reygers aufgegriffen wurden. Das betrifft beispielsweise ihren Ansatz, das Museum sehr niedrigschwellig zugänglich zu machen und beispielsweise durch den Einsatz von Grünpflanzen schon fast gemütlich zu gestalten. Vor allem aber hat sie in den sechziger Jahren als erstes deutsches Museum eine Kindermalstube etabliert.

Daher wollen wir in der nächsten Sammlungspräsentation beleuchten, welche Erwartungen, die es heutzutage an ein Museum gibt, eigentlich schon immer zur DNA des Museum Ostwall gehören. Unsere große Fluxus-Sammlung, aus der wir auch in der neuen Sammlungspräsentation viele Werke zeigen werden, spielt hierbei sicher eine tragende Rolle. Die Künstler*innen des Fluxus zeichnen sich häufig dadurch aus, dass sie das Publikum in ihre Werke mit eingebunden haben. Andererseits umfasst unsere Sammlung aber auch einige Werke der Laienmalerei, also Werke, die beispielsweise von Bergarbeiter*innen und Laienkünstler*innen gemalt wurden. Dass Reygers sich viel mit Laienkunst beschäftigt und diese auch im Museum ausgestellt, ja in einzelnen Fällen sogar für die Sammlung angekauft hat, zeigt, wie wichtig ihr kreative Prozesse auch jenseit „etablierter“ Kunst waren.

Ein Thema allein macht natürlich nicht die Sammlungspräsentation. Als Besucher*in denkt man zuerst an die gezeigten Kunstwerke. Wie werden diese ausgewählt?

Nach der Themenfindung schaut man sich an, welche Werke man in der Sammlung zur Verfügung hat. Dabei spielen verschiedene Fragen eine Rolle: Welche Werke passen zum Thema? Das können auch Werke sein, die man lange nicht gezeigt hat oder auch mal Zeichnungen von einem*einer eher unbekannten Künstler*in. Gleichzeitig gibt es aber natürlich auch die Erwartung, dass die „Masterpieces“ der Sammlung zu sehen sind, wie etwa unsere Werke von Max Beckmann oder August Macke. Hier ist also auch die Frage, wie man Kunstwerke, die ein wichtiger Sammlungsbestandteil sind und die die Leute auch einfach gerne sehen wollen, in das Thema einbinden kann.

Man fängt also an zu recherchieren, filtert in der Datenbank nach bestimmten Stichworten, schaut sich die Werke im Depot  an, und trifft schließlich eine Vorauswahl. Diese Vorauswahl besprechen wir dann im Team mit unseren Restauratorinnen. Die können relativ schnell abschätzen, ob gewisse Werke vor der Ausstellung restauriert werden müssten oder aufgrund ihres Zustandes womöglich nicht gezeigt werden können. Ist eine Restauration notwendig, kann man versuchen, die Kosten durch Förderanträge zu decken. In Einzelfällen kann man aber auch entscheiden, auf ein Werk zu verzichten, wenn es ein vergleichbares gibt, das sich genauso gut eignet.

Die endgültige Werkauswahl wird dann erst im Laufe dieses Jahres nach Abstimmung mit den Szenograf*innen getroffen. Als Kuratorinnen stellen wir aber unsere Ideen meistens schon sehr früh im Team vor, damit alle Bereiche wie das Restaurierungsteam, das Team für die technische Umsetzung oder auch die Kunstvermittlung ihre Expertise mit einbringen können. Insbesondere die Kunstvermittlung spielt bei uns eine große Rolle. In vielen Museen werden die Kolleg*innen der Kunstvermittlung meist erst gegen Ende der Planung eingebunden, wenn das Konzept, die Werkauswahl und die Hängepläne fertig sind. Wir reden hingegen sehr früh mit unseren Kunstvermittlerinnen darüber, wie wir die Geschichte von „Kunst und Leben“ so erzählen können, das Besucher*innen selbst aktiv werden können. Das betrifft auch unmittelbar die Werkauswahl, bei der sich bestimmte Werke vielleicht besonders gut dazu eignen, Vermittlungsprogramme für Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene zu gestalten. Wir eine Sammlungspräsentation also immer als Team.

Du als Kuratorin bist aber weiterhin für die Auswahl der gezeigten Werke verantwortlich, oder wird diese Entscheidung auch zusammen mit dem Team getroffen?

Wir diskutieren natürlich nicht jedes einzelne Werk, weil wir dazu auch gar nicht die zeitlichen Ressourcen haben. Man muss sich ja vorstellen, dass jedes Team bei uns immer gleichzeitig an mehreren Projekten arbeitet, weshalb es häufig eher allgemeines Feedback oder einzelne Ideen gibt, die ich berücksichtigen kann. Mein Job als Kuratorin ist es, eine Idee für die Sammlungspräsentation zu entwickeln und zu überlegen, mit welchen Werken aus der Sammlung man diese Geschichte erzählen könnte. Den Entwurf stelle ich dann dem Team vor, weil viele die Sammlung ja selbst sehr gut kennen. Wenn das Restaurierungsteam oder das Vermittlungsteam dann Vorschläge einbringt, ist das sehr gewinnbringend für mich. Denn es bringt ja nichts, wenn ich ein Werk zeigen möchte, zu dem sich nur schwierig ein Vermittlungsangebot gestalten lässt, wenn es gleichzeitig ein anderes Werk gäbe, das genauso gut zum Thema der Ausstellung passt und mit dem man im Rahmen von Vermittlungsangeboten viel kreativer arbeiten kann.

Wir alle können uns vorstellen, dass die Planung einer Sammlungspräsentation einige Zeit in Anspruch nimmt. Wie genau kann man sich den Zeitplan für die Planung einer Sammlungspräsentation vorstellen?

Man muss sich klar machen, dass ich eine halbwegs solide Werkauswahl brauche, um mit den Szenograf*innen das Storytelling entwickeln zu können. Zum jetzigen Zeitpunkt (November 2021) bin ich tatsächlich noch mit der Recherche beschäftigt, habe allerdings schon eine Vorauswahl getroffen. Jetzt geht es um die Details: Welche Laienmaler*innen haben welche Bedeutung? Welche eignen sich gut, welche eignen sich besser? Wir hatten auch überlegt, die Idee von Leonie Reygers aufzugreifen, Möbel und Alltagsgegenstände wie Geschirr auszustellen, mit denen sie in den Alltag ihrer Besucher*innen hineinwirken wollte. Da stellte sich aber heraus, dass wahrscheinlich doch nicht so viele Ausstellungsstücke erhalten sind, wie wir gedacht hatten, weshalb wir dahingehend nochmal umdenken müssen.

Parallel dazu laufen die Ausschreibungs- und Vergabeverfahren, z.B. für die Szenografie, die auch einige Zeit in Anspruch nehmen. Erst im Januar wird entschieden, wer den Auftrag für die Szenografie bekommt, und erst dann können wir dem beauftragten Büro unsere Ideen präsentieren, aus denen die dann einen ersten Entwurf erarbeiten. Nachdem der Entwurf gemeinsam ausgearbeitet wurde, wird die finale Werkauswahl festgelegt, die dann aber wiederum auch nochmal vom Restaurierungsteam begutachtet werden muss.

Dazu kommt die Produktion eines Kataloges bzw. Magazins, das zur Sammlungspräsentation erscheinen soll – mit allem was dazugehört: Vergabeverfahren für Gestaltung, Druck und Vertrieb, Werkauswahl, Fotoproduktion, Einholen der reproduktionsgenehmigungen, und natürlich all die Texte, die wir mit dem Team dafür schreiben werden…

Wie kann man sich denn dann den Übergang von der jetzigen zur nächsten Sammlungspräsentation vorstellen?

„Body & Soul“ läuft ja noch bis zum 13.11., und wird unmittelbar danach abgebaut. Das ist natürlich mit einem großen Aufwand verbunden: Die ausgestellten Werke müssen ordnungsgemäß eingelagert und die Standortveränderungen in der Datenbank dokumentiert werden. Gleichzeitig müssen die Transporte der neuen Werke koordiniert werden, was Transportanfragen und die Beauftragung einer Kunstspedition bedeutet. Das muss womöglich im Einzelfall wieder ausgeschrieben werden, was wieder zusätzliche Zeit in Anspruch nimmt. Man benötigt also auch für diese Umbauzeit einiges an Vorlauf. Zum Glück muss ich das nicht alles alleine machen, sondern habe eine tolle Kollegin als Registrarin, die das alles organisiert, und natürlich die Kolleg*innen in der U-Verwaltung, die bei dem ganzen Papierkram helfen.

Worauf freust du dich denn am meisten bei der neuen Sammlungspräsentation?

Ich habe bei der neuen Sammlungspräsentation das Gefühl, wir machen in der Sache Besucherpartizipation und der kritischen Selbstreflexion des eigenen Verständnisses von der Institution „Museum“ nochmal einen Schritt nach vorne. Ich bin zuversichtlich, dass wir nochmal neue Besuchergruppen ansprechen können und ein breiteres Verständnis für das Museum an sich schaffen. Ich bin sehr gespannt, ob uns das gelingt, und freue mich sehr auf den Weg dahin. Es ist für das ganze Team des Museum Ostwall gerade eine sehr aufregende Zeit.

Weitere Informationen zur aktuellen Sammlungspräsentation „Body & Soul. Denken. Fühlen. Zähneputzen“ des Museum Ostwall findet ihr hier. Noch bis zum 13.11. könnt ihr die aktuelle Sammlungspräsentation „Body & Soul. Denken. Fühlen. Zähneputzen“ im Museum Ostwall auf Ebene 4 & 5 des Dortmunder U kostenfrei besuchen. Nähere Informationen findet ihr hier.