FACHTAGUNG | DIGITALE W/ENDEN. DIS/KONTINUITÄTEN DIGITALER KULTUR
Kunst und Wissenschaft im Dialog zu Dynamiken der digitalen Kultur
Wird dem Wort ‚ENDE‘ ein unscheinbares ‚W‘ vorangestellt, kehrt sich die Bedeutung zwar nicht in ihr Gegenteil, jedoch ändert sich die Dynamik der Denkfigur drastisch: Die starre Abgeschlossenheit des ENDES verliert ihre Substanz, stattdessen offenbart sich die Prozessualität der WENDE, die einer vermeintlichen Finalität Zukunftshorizonte entgegensetzt.
Der Forschungsschwerpunkt digitale_kultur der FernUniversität in Hagen initiiert die Fachtagung gemeinsam mit der Abteilung Digitale Kultur im Dortmunder U. Ziel ist es, die vielfältigen Veränderungen, Herausforderungen und Brüche digitaler Kulturen zu diskutieren und zu reflektieren.
Freuen Sie sich auf inspirierende Vorträge, neue Perspektiven und spannende Diskussionen.
Ausgehend von dem künstlerischen, experimentellen und musealen Rahmen des Dortmunder U eröffnen sich Fragen sowohl nach räumlichen Bezügen des Digitalen sowie kuratorische Fragen des ‚Beleuchtens‘ und damit auch ‚In-Erscheinung-bringens‘. Die Projekte Page 21, das Digitale Koproduktionslabor und das Fulldome im Dortmunder U arbeiten gemeinsam mit Künstler*innen an neuen Schnittstellen von Kunst, Kultur, Storytelling und technologischer Innovation. Zudem werden der Hartware MedienKunstVerein, das storyLab KiU sowie die Akademie für Theater und Digitalität an der Tagung partizipieren.
Die beiden Forschungsgruppen der FernUniversität in Hagen im Forschungsschwerpunkt digitale_kultur gestalten die Tagung maßgeblich mit. Die FG Digitalisierung – Verkörperung – Subjektivierung und die FG digital humanities: Forschen im digitalen Raum reagieren mit ihrem jeweils spezifischen Vokabular auf DIGITALE W/ENDEN und treten damit nicht nur in einen interdisziplinären Dialog, sondern vollziehen zugleich eigene Wendungen aus ihren unterschiedlichen Perspektiven.
Veranstaltungsort:
Tag 1 (27.11.25)
Dortmunder U | Leonie-Reygers-Terrasse | 44137 Dortmund
Tag 2 (28.11.25)
FernUniversität in Hagen (Gebäude 2) | Universitätsstr. 33 | 58097 Hagen
Die Teilnahme an der Fachtagung ist kostenfrei.
Wir bitten um eine vorherige Anmeldung an: d-k@fernuni-hagen.de
Für organisatorische Fragen schreiben Sie uns gerne an:
vboczkowski@stadtdo.de
Organisation:
- Valentin Boczkowski (Dortmunder U)
- Dennis Möbus (FernUniversität in Hagen)
- Robert Schulz (FernUniversität in Hagen)
PROGRAMM
Tag 1: Dortmunder U
Grußworte
Ort: Kino im U
Stefan Stürmer (Rektor der FernUniversität in Hagen)
Harald Opel (Künstlerischer Leiter vom storyLab kiU der Fachhochschule Dortmund)
Organisator*innen
Keynote von Katharina Kinder-Kurlanda (Universität Klagenfurt)
Ort: Kino im U
Moderation: Thorben Mämecke (FernUniversität in Hagen)
Die Keynote stellt Fragen zu Kunst und Wissenschaft im Digitalen, nach der Art und Weise wie wir forschen, wahrnehmen und gestalten. Im Zentrum steht nicht das Gegebene, sondern das, was verändert, gewendet und neu gedacht werden kann. Das Digitale ist ständig im Werden – ein Prozess, der ein Potential zur Veränderung birgt und zugleich die Frage aufwirft: Was sollen wir tun? Sollen wir uns beteiligen oder abwehren? Sind wir machtlos oder suchen wir aktiv nach neuen Formen des Handelns und Erfahrens? Die Keynote bringt drei Perspektiven miteinander in Resonanz: Erstens einen theoretisch-empirischen Zugang, der aus der Beobachtung alltäglicher Datenpraktiken in der Wissenschaft heraus epistemologische Fragen stellt; zweitens die Perspektive der Digital Humanities, die diese Überlegungen praktisch umsetzt; und drittens die Sichtweise der digitalen Kunst, die die Erfahrungsdimension des Digitalen – das unmittelbare, affektive und körperliche Erleben – in den Vordergrund rückt. Unter Bezug auf Projekte im Dortmunder U wird gezeigt, wie die Grenzen zwischen Kunstwerk und Betrachter*innen zunehmend verschwimmen und neue Formen der Interaktion und Wahrnehmung entstehen. So eröffnet sich das Digitale als ein Raum zwischen Wissenschaft und Kunst – ein Raum, in dem das Forschen selbst zum ästhetischen, reflexiven und transformierenden Prozess wird.
Bio
Katharina Kinder-Kurlanda ist seit 2021 Professorin für Humanwissenschaft des Digitalen an der Universität Klagenfurt in Österreich. Zuvor war sie von 2016 bis 2021 Teamleiterin für „Data Linking & Data Security“ am GESIS – Leibniz‑Institut für Sozialwissenschaften in Köln. Ihre akademische Ausbildung umfasst ein Studium der Kulturanthropologie, Informatik und Geschichte an der Eberhard Karls‑Universität Tübingen und der Johann Wolfgang Goethe‑Universität Frankfurt am Main sowie eine Promotion an der Lancaster University zum Thema „Ubiquitous Computing in Industrial Workplaces“. Sie arbeitet interdisziplinär in den Digital Humanities, den Science and Technology Studies, der Techniksoziologie und der Internetforschung und ihre Forschungsinteressen sind neue Epistemologien für Big Data, Algorithmen im Alltag, Datenpraktiken, Social Casual Games und (faire) Künstliche Intelligenz.
Podium
Ort: Kino im U
Dennis Möbus (FernUniversität in Hagen), Almut Leh (FernUniversität in Hagen), Lina Franken (Universität Vechta), Philipp Bayerschmidt (FernUniversität in Hagen)
Moderation: Linde Apel (Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg)
Staging ist als Anglizismus im Deutschen ein mehrdeutiger Begriff. In der IT-Branche bezeichnet er die finale Entwicklungsphase, in der eine Anwendung in einer geschützten Umgebung getestet werden kann – die Generalprobe sozusagen. Das korrespondiert mit seiner ursprünglichen Bedeutung im Englischen: eine Aufführung oder Inszenierung. Dementsprechend ist Staging AI die öffentliche Probe der aktuellsten Entwicklungen der Forschungsgruppe digital humanities – Forschen im digitalen Raum des Forschungsschwerpunkt digitale_kultur: vier Wissenschaftler*innen lesen KI-gestützte Textinterpretationen vor und stellen diese anschließend zur Diskussion. Damit wird das Staging der digitalen Technologie in den analogen öffentlichen Raum verlegt, die Evaluation der Ergebnisse wird zur Performance.
Bio
Dennis Möbus ist Historiker und Wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt Oral-History.Digital sowie Koordinator der Forschungsgruppe digital humanities – Forschen im digitalen Raum im Forschungsschwerpunkt digitale_kultur.
Almut Leh ist Historikerin, Leiterin des Institut für Geschichte und Biografie und des Archiv ‚Deutsches Gedächtnis‘ sowie Sprecherin der Forschungsgruppe digital humanities an der FernUniversität in Hagen.
Lina Franken ist Professorin für Digital Humanities und beschäftigt sich mit der Erweiterung kulturwissenschaftlicher Forschung durch computationelle Methoden.
Philipp Bayerschmidt ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter in den DFG-Projekten Oral-History.Digital und Open.Oral-History.
Linde Apel leitet das Oral-History-Archiv Werkstatt der Erinnerung in der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg.
12:30 Uhr
MITTAGSPAUSE
13:30 – 14:15 Uhr | PARALLELE SESSIONS
Präsentation
Ort: Kino im U
Christian Minwegen – Residency des Dortmunder U
Moderation: Valentin Boczkowski (Dortmunder U)
Szenische Forschung zu Grenzüberschreitungen im Netz
In seiner Forschungsarbeit „Ragequit Against the Machine“ beschäftigt sich Christian Minwegen künstlerisch-forschend mit dem Phänomen des „Ragequit“ – dem frustrierten und meist von Gewalt begleiteten Abschalten eines Videospiels – sowie dessen Zurschaustellung in Internet-Livestreams. Mit Perspektive auf die Entstehung dieser neuen Bühnen im digitalen Raum, befragt er deren performatives Potenzial und sucht Schnittmengen zu anderen Kunsttraditionen, in denen Zerstörung als Strategie oder Thema eingesetzt wird bzw. wurde. Neben der Frage nach Authentizität bzw. der Inszeniertheit solcher Darstellungen von Emotionalität, wird auch das ambivalente Verhältnis zwischen Mensch und Maschine im Bereich Gaming untersucht.
Bio
Christian Minwegen (*1991 in Krefeld) studierte Germanistik und Theaterwissenschaft im Bachelor an der Ruhr-Universität Bochum und absolvierte dort anschließend den künstlerisch-praktischen Masterstudiengang Szenische Forschung mit Auszeichnung. Er arbeitet freischaffend als Performance- und Medienkünstler, Schauspieler, Musiker und Autor sowie als Creative Producer für Künstlerinnen und -gruppen der Freien Darstellenden Künste in NRW. Aktuell ist er Stipendiat des Christoph-Schlingensief-Fellowship der Kunststiftung NRW und der Szenischen Forschung und wird dabei durch das digitale Koproduktionslabor Dortmund beratend unterstützt.
Präsentation
Ort: Foyer im Dortmunder U
Manuel Talarico – Residency des Dortmunder U
Moderation: Anna Rumeld (Dortmunder U)
Welche Wende – welches Ende droht durch Deepfake-Technologie?
Digitale Masken wie Deepfakes und KI-Avatare verändern Identität und Vertrauen grundlegend. Nach dem weltweit ersten Streik gegen KI-Nachbildungen in Hollywood 2023 und Dänemarks neuem Gesetzentwurf, der äußere Merkmale persönlicher Identität – Stimme, Gesicht, Körper – urheberrechtlich schützt, drängt sich die Frage auf: Wo bleibt Empathie in einer Welt, in der alles manipulierbar ist?
You and I are I and You (AT) forscht an der Schnittstelle von Medienkunst, Performance und Virtual Production. Performer*innen tauschen in Live-Experimenten Gesicht und Stimme mittels Face Swapping, Motion-Capture und Deepfake-Technologie. Ein zweiter Ansatz bezieht sich auf Dan Grahams Spiegel-Performances zur Betrachtung und Beschreibung des Verhaltens der Zuschauenden sowie seinen Time Delay Room (1974), der mediale Zeit erfahrbar macht.
Während Spiegelungen flächig und seitenverkehrt sind, erzeugen Deepfakes eine punktgenaue, dreidimensionale Identitätsüberlagerung. Dieser ‚erweiterte Spiegelmoment‘ irritiert visuell und körperlich, destabilisiert Selbstbild und leibliches Gedächtnis. Das Projekt fragt: Fördert diese radikale Spiegelung Empathie – oder zerstört sie sie?
Der Vortrag wirft einen spekulativen Blick auf die ästhetische und ethische Ambivalenz dieser Technologien und lädt ein zur Diskussion über digitale Dis/Kontinuitäten.
Bio
Manuel Talarico studierte Freie Kunst an der Kunstakademie Münster in den Klassen von Aernout Mik und Daniele Buetti, der ihn 2014 zum Meisterschüler ernannte. Seine künstlerische Praxis bewegt sich transdisziplinär an den Schnittstellen von Performance, Film/Video und Theater. In seinen Arbeiten erforscht er Narrative, Figuren und Bühnenkonzepte im Spannungsfeld zwischen persönlichen, popkulturellen und historischen Referenzen. Elemente seiner wissenschaftlichen Ausbildung in Biologie (Studien in Münster und Cambridge) fließen punktuell in seine Projekte ein.
Seine Arbeiten wurden europa- und asienweit gezeigt, u. a. in der Bundeskunsthalle Bonn, im Landtag Düsseldorf, in der Kunsthalle Münster, im Kunstverein Ulm, im Ringlokschuppen Ruhr, in der Hilger BrotKunsthalle, bei Add+Art Barcelona und im Lian Art Space Shanghai. 2023 zeigte der Kunstverein Kreis Gütersloh seine erste umfassende Einzelausstellung. Für die Video-Performance 11 12 13 erhielt er 2021 den NRW.Bank.Kunstpreis. 2025 wurde ein Kurzfilmstoff von Talarico für eine Entwicklungsförderung von der Filmwerkstatt Münster ausgewählt.
Aktuell erforscht Talarico mit einem Medienkunst-Fellowship des Landes NRW die Möglichkeiten, KI im Kontext von Deepfakes als Empathie-Generator nutzbar zu machen. Seit dem Wintersemester 2024/25 hat er einen Lehrauftrag zu Performance im digitalen Raum an der Kunstakademie Münster. Parallel arbeitet er als Bühnen- und Kostümbildner für Theater und Film und ist als Performer u. a. in der Grimme-Preis-prämierten Serie Haus Kummerveldt (WDR/ARTE) zu sehen. Talarico lebt und arbeitet in Berlin.
14:30 – 15:30 Uhr | PARALLELE SESSIONS
Präsentation
Ort: Digitales Koproduktionslabor
Mit Michael Nguyen & Fabian Bentrup (Digitales Koproduktionslabor)
In unserem Alltag interagieren wir ständig mit Apps, Smartphones und Computern, die Alltags- und Routineaufgaben vereinfachen und automatisieren. Programmierung erscheint dabei meist als rein technisches Mittel im Hintergrund: funktional, unsichtbar, zweckgebunden. Doch wie lässt sich der Computer jenseits des Nützlichen als künstlerisches Werkzeug begreifen? Kann Code zu einem Medium kreativen Ausdrucks werden? Die Präsentation nähert sich dem Programmieren aus einer künstlerischen und experimentellen Perspektive. Wir erkunden anhand der intermedialen Performance Loving the Aliens des Duos Spaniol | Nardi unterschiedliche Herangehensweisen des Creative Coding und verschaffen uns einen Überblick über verwendete Werkzeuge, Programme und die damit verbundenen kreativen Möglichkeiten.
Digitales Koproduktionslabor
Das Digitale Koproduktionslabor (KoLab) der Abteilung Digitale Kultur im Dortmunder U ist eine Reaktion auf den schnell steigenden Bedarf an Expertise und Entfaltungsräumen für den Bereich der digitalen Kunst und Kultur in Nordrhein-Westfalen.
Durch die Komplexität und teils Unzugänglichkeit der Tools in Bereichen wie XR, Coding, VFX etc. und die daraus resultierenden künstlerischen Möglichkeiten, benötigen Künstler*innen sowohl in der Konzeptions- als auch in der Umsetzungsphase externe Expertise. Hier bietet das KoLab verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten: Von Beratung, über die Bereitstellung von Technik bis zu Koproduktionen. Außerdem bildet das KoLab die Schnittstelle zwischen lokalen Künstler*innen und den Institutionen Akademie für Theater und Digitalität, storyLab kiU und dem Dortmunder U. Das KoLab besteht aus einem interdisziplinären Team aus Digital-Künstler*innen aus den Bereichen Creative-Coding, 3D, VFX, AI-Art, Sound, Musik.
Präsentation
Ort: Foyer im Dortmunder U
Mit Anna Rumeld & Aldina Okerić (Page 21)
Wie lassen sich Erinnerungen künstlerisch fassen und zugleich transformieren?
Ausgehend von der immersiven Erzählwelt ‚The Farewell‘, die Henri Laurens’ Plastik L’Adieu (1941) mit dem zeitgenössischen Gedicht von Jay T. John und Elementen der informellen Malerei verbindet, nähern wir uns Fragen von Abschied, Verlust und Neubeginn. In einer Präsentation mit praktischen Elementen erproben die Teilnehmenden eine körperlich-poetische Praxis des Erinnerns: Die eigenen Körpergesten und -haltungen werden per 3D-Scan erfasst und anschließend als Ausdruck auf Papier übertragen. Diese digitalen Figuren, bereits selbst als Spuren und Fragmente angelegt, dienen anschließend als Ausgangspunkt für eine analoge, künstlerische Weiterbearbeitung.
Das Projekt Page 21
Im Mittelpunkt des Projekts Page 21 steht der Immersive Raum – eine interaktive Kunstinstallation, die Besucher*innen in eine vielschichtige Klang- und Bildwelt eintauchen lässt. In dieser virtuellen Umgebung eröffnen sich neue Perspektiven auf unterschiedliche Werke aus den Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalens. Die Gedanken und Emotionen, die beim Betrachten eines Originals entstehen, verdichten sich hier zu eigenständigen, begehbaren Erzählwelten.
Die eigens entwickelten, multisensorischen Welten laden zum aktiven Erkunden mit dem eigenen Körper ein. Die Besucher*innen werden dabei selbst Teil der Installation. Assoziativ erschließen die virtuellen Räume historische und konzeptuelle Kontexte der Kunstwerke, stellen Bezüge zur Gegenwart her und eröffnen zugleich Raum für persönliche Interpretationen und weiterführende Gedanken.
Talk mit anschließenden Kurzbesuch der Ausstellung Genossin Sonne des Hartware MedienKunstVerein
Ort: Foyer im Dortmunder U
Inke Arns (Hartware MedienKunstVerein)
Jennifer Eickelmann (FernUniversität in Hagen)
Moderation: Julia Fischer (FernUniversität in Hagen)
Angesichts aktueller Herausforderungen der Demokratie durch rechtslibertäre, autoritäre und (neo-)faschistische Bewegungen und Strategien befragen Inke Arns und Jennifer Eickelmann in einem Gespräch die Bedeutung des Kuratierens, sowohl im Museum als auch in anderen digitalen Öffentlichkeiten. Fragen lauten etwa: Welche epistemologische und politische Bedeutung kommt kuratorischen Praktiken und Techniken in digitalen Kulturen zu? Welche transformative Potenzialität ist dem Kuratorischen in digitalen Kulturen inhärent?
Bios
Jennifer Eickelmann ist seit April 2022 Juniorprofessorin für Digitale Transformation in Kultur und Gesellschaft an der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften sowie dem fakultätsübergreifenden Forschungsschwerpunkt digitale_kultur.
Zuvor war sie wiss. Mitarbeiterin am Lehrgebiet für Soziologie mit dem Schwerpunkt Soziale Ungleichheit und Gleichstellungsbeauftragte der Fakultät Sozialwissenschaften an der TU Dortmund. 2017 promovierte sie am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum mit einer Arbeit zur Materialität mediatisierter Missachtung.
Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen an der Schnittstelle von Medientheorie, Ungleichheits-/Kultursoziologie sowie Gender/Queer Media Studies und beschäftigen sich mit der digitalen Transformation von Subjektivierungs- und Materialisierungsprozessen im Kontext digitaler Teilöffentlichkeiten, insb. ‚Social Media‘ und Plattformen sowie der Methodenentwicklung. Sie ist Mitglied in den DFG-Forschungsnetzwerken ‚Gender, Medien und Affekt‚ und ‚Flows. Schmiermittel der Theoriebildung‚ sowie Mitherausgeberin der Reihe Digitale Kulturen, Hagen University Press.
Inke Arns, Dr. phil., Kuratorin, seit 2005 künstlerische Leiterin und seit 2017 Direktorin des HMKV Hartware MedienKunstVerein, Dortmund (www.hmkv.de). Seit 1993 freie Kuratorin und Autorin mit den Schwerpunkten Medienkunst und -theorie, Netzkulturen, Osteuropa. Aufenthalt und Schulbesuch in Paris (1982-1986), Abitur in West-Berlin (1988), Studium der Slawistik, Osteuropastudien, Politikwissenschaften und Kunstgeschichte in Berlin und Amsterdam (1988-1996), Promotion an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Dissertation zum Paradigmenwechsel der Rezeption der historischen Avantgarde und des Utopie-Begriffs in (medien-)künstlerischen Projekten der 1980er und 1990er Jahre in Ex-Jugoslawien und Russland (2004).
Sie kuratiert(e) Ausstellungen im In- und Ausland, zuletzt u.a. in der Kunsthalle Wien, Pavillon der Republik Kosovo, 59. Biennale di Venezia (Venedig), BOZAR (Brüssel), La Gaîté Lyrique (Paris), Muzeum Sztuki (Łodz), Haus der Kulturen der Welt (Berlin), Kunsthall Charlottenborg (Kopenhagen), Jeu de Paume (Paris), La Panacée (Montpellier), Contemporary Art Centre CAC (Vilnius), Centre for Contemporary Art Zamek Ujazdowski (Warschau), Videotage (Hong Kong), KW Institute for Contemporary Art (Berlin), Centre for Contemporary Arts – CCA (Glasgow), Museum of Contemporary Art (Belgrad), Karl Ernst Osthaus Museum (Hagen), Künstlerhaus Bethanien (Berlin), Moderna galerija (Ljubljana), Bauhaus (Dessau).
Forschungsimpuls
Ort: Foyer im Dortmunder U
Residency der Akademie für Theater und Digitalität
Thomas Meckel von SONA VR
Moderation: Annabell Blank (Akademie für Theater und Digitalität)
SONA ist eine akustisch erfahrbare Virtual-Reality-Installation – gestaltet aus der Perspektive sehbehinderter Menschen. Wir betreten einen dunklen Raum, in dem jede visuelle Orientierung wegfällt. Die virtuelle Realität der Installation erfahren wir über Kopfhörer. Ein Motion-Capture-System erfasst unsere Position im Raum und unsere Kopfdrehung. Sensorische Schuhe erfassen unsere Schritte. Wir hören unsere Schritte auf virtuellen Untergründen – durch Schnee, im Wald, über Geröll und auf einem reaktiven Klangteppich. Wir laufen durch ein akustisches Labyrinth. Virtuelle Wände reflektieren unseren Echostrahl. Irrlichter rufen uns und zeigen uns den Weg. Wir lernen die virtuelle Realität mit den Ohren zu sehen.
Bios
Thomas Meckel arbeitet als Medienkünstler, Game Designer und Musiker. Er organisiert kybernetische Jamsessions und baut VR-Welten aus Spatial Audio. Seine interaktive Kino-Performance »Solaris« wurde im Museum Ludwig (Köln), der Universidad Nacional (Bogotá) und dem Ringlokschuppen (Mülheim/Ruhr) aufgeführt. Gemeinsam mit Tobias Thomas kuratiert er die Konzertreihe »Round« in der Kölner Philharmonie. Er hat Mediale Künste an der Kunsthochschule für Medien in Köln, Kulturwissenschaften in Lüneburg, Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen und an der Universidad Nacional de Colombia studiert. Zurzeit arbeitet er mit SONA an Virtual Reality Experiences aus der Perspektive blinder Menschen.
KiU-Talk des storyLab kiU / FH Dortmund
Ort: Foyer im Dortmunder U
Mit: Jonathan Harth (Universität Witten/Herdecke)
Moderation: David Wesemann (storyLab kiU)
Der Vortrag untersucht das Konzept eines zukünftigen ‚XR-Kontingenztheaters‘ im Kontext der technischen und narrativen Möglichkeiten von erweiterten Realitäten (XR). Aufbauend auf Janet Murrays Vision des ‚Holodecks‘ als immersivem Erzählraum und verschiedenen theaterhistorischen Konzepten, zeigt der Vortrag auf, wie XR-Technologien neue Formen theatraler Erfahrung ermöglichen, in denen Zuschauer zu aktiven Teilnehmern werden. Das Kontingenztheater nutzt die Offenheit und Veränderbarkeit der virtuellen Realitäten, um die Grenzen zwischen Darstellung und Partizipation, zwischen Fiktion und Realität auszuloten. Neben den künstlerischen und narrativen Potenzialen werden auch die technischen und ethischen Herausforderungen diskutiert sowie praktische Beispiele aufgezeigt, die verdeutlichen, wie XR-Technologien bereits heute neue Theaterformen ermöglichen. Das elektronische Kontingenztheater wird als zukunftsweisender Ansatz präsentiert, der nicht nur das traditionelle Theaterverständnis erweitert, sondern auch neue Wege für kollektive Erfahrungen und gesellschaftliche Selbstreflexion eröffnet.
Bio
Jonathan Harth arbeitet am Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Witten/Herdecke. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Soziologie der Digitalisierung (Extended Reality und Sozialität unter Bedingungen maschineller Intelligenz), digitale Kunstproduktion sowie Religionssoziologie (westlicher Buddhismus). Neben seiner Tätigkeit am Lehrstuhl arbeitet Harth im Forschungsprojekt Theater der erweiterten Realitäten am Theater an der Ruhr, das den Einsatz digitaler Technologien in virtuellen und augmentierten Theaterstücken untersucht.
Live-Visual Konzert
Ort: Koproduktionslabor im Dortmunder U
Digitale Soundexploration des DJ-Duo A2ICE & B03 (Lex Rütten & Jana Kerima Stolzer)
A2iCE&BO3 aka Jana Kerima Stolzer + Lex Rütten spielen ein zweiteiliges Live-Visual Konzert, das auf den Bildwelten und Sounds ihrer künstlerischen Arbeiten basiert. Ihre Projekte thematisieren die Beziehungsgeflechte irdischer Lebewesen und ihre Bedeutung für unsere Ökosysteme. Das Duo entwickelt seine Narrative in und für digitale Umgebungen, arbeitet mit Fieldrecordings und 3-D Scans, die jetzt ein neues Format in der Live-Performance am 27.11. im Rahmen der Jahrestagung DIGITALE W/ENDEN. DIS/KONTINUITÄTEN im Koproduktionslabor finden.
Im Anschluss an das Konzert laden wir ein zum Kennenlernen, Austausch und Vernetzen.
Tag 2: FernUniversität in Hagen
Impulse – Selbstverständnisse über das Verstehen in digitaler Kultur
Ort: Senatssaal (FernUniversität in Hagen)
Peter Risthaus
Im Suchschlitz von Chat-GPT gibt sich diese KI ganz hermeneutisch, denn in ihm ist bereits die Anforderung unterlegt: ‚Stelle irgendeine Frage‘. Friedrich Schlegel hat in einem seiner Fragmente davon gesprochen, dass es einen hermeneutischen Imperativ gibt: ‚Verstehe!‘. Befehlen lassen möchte sich die KI anscheinend vorerst nichts. Gibt man ‚Verstehe‘ ohne Ausrufezeichen ein, erhält man zur Antwort: ‚Klar! Was genau möchtest du verstehen? Gib mir einfach mehr Kontext, und ich helfe dir gern weiter.‘ Handelt es sich um eine intelligente Antwort? Ergänzt man das Wort durch ein ‚!‘, gibt sich ein anderer Satz aus: ‚Super! Wenn du Fragen hast oder etwas genauer erklärt haben möchtest, sag einfach Bescheid. 😊‘. Hans Georg Gadamer hat nicht allein den Grundsatz formuliert: ‚Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache‘, sondern den Akt des Verstehens als ‚Horizontverschmelzung‘ bezeichnet. Aber hat der digitale Raum eigentlich einen Horizont?
Dennis Möbus
Verstehen – das wird in den Digital Humanities auf zwei Ebenen zum Thema: Können mit hermeneutischen Mitteln digitale Prozesse verstanden werden? Und können digitale Prozesse selbst hermeneutische Mittel werden, am Ende also selbst verstehen? Am Anfang, so scheint es, war es noch ganz einfach: imperative Programmierung, logische Schlussfolgerungen, Prozess verstanden. Nein, sagte Joseph Weizenbaum schon vor einem halben Jahrhundert, Black Boxes habe es auch vor der modernen KI schon gegeben: tausende, zehntausende, hunderttausende Zeilen Code, aufgeteilt in zig Module, geschrieben von ganzen Teams spezialisierter Entwickler:innen können von einem einzelnen Menschen nicht durchdrungen und verstanden werden. Heute können wir natürlich-sprachig mit unseren Programmen interagieren – in einer fingierten Dialogsituation wird das Verstehen simuliert, das ‚Reasoning‘ der Maschine offengelegt. Dabei spielt der Zufall – in der Geschichte der KI-Forschung immer wieder als wesentliches Kriterium für eine Künstliche Intelligenz diskutiert – eine entscheidende Rolle. Die Algorithmenkritik, die sich von der Programmcodeexegese gelöst und dem Vergleich von Output unter Veränderung einzelner Variablen zugewandt hat, stellt das vor große Herausforderungen: der Output eines LLMs ändert sich auch, wenn keine Variable geändert wird, bei jedem Programmdurchlauf. Sind wir am Ende der Kritik angelangt? Und was kann uns das über das Verstehen sagen? Sagt die notorische Lust am Un-Black-Boxing möglicherweise mehr über die wohl niemals endende Suche, das eigene Verstehen zu verstehen?
Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten
Das Erforschen mehr-als-menschlicher Lebewesen wie Pflanzen, Mikroorganismen und Pilzen sowie die multimediale Erfahrung ihrer Geschichten, sind Mittelpunkt der künstlerischen Praxis von Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten. Seit neun Jahren arbeitet das Künstler*innen-Duo gemeinsam in unterschiedlichen institutionellen Zusammenhängen und Kontexten. Ausgangspunkt der künstlerischen Projekte sind vielschichtige Ensembles menschlicher und mehr-als-menschlicher Lebewesen ihrer Gegenwart in der Technosphäre, deren Geschichten in Performances und multimedialen Installationen inszeniert werden. Diese basieren nicht selten auf einer komplexen Narration, welche von Protagonist*innen vermittelt werden, die auf eben jenen mehr-als-menschlichen Erdbewohner*innen basieren: digitalen Wesen, Hybriden aus Natur und Technik ähnelnd – abstrahiert als digitale 3D-animierte Charaktere –, die in musicalhaften Umgebungen performen.
Die Arbeiten fordern auf verschiedene Weisen zu einem Perspektivwechsel auf. So basieren die Narrationen auf umfangreichen Recherchen, die der künstlerischen Produktion vorangestellt sind. In fiktiven Welten, die auf Fakten basieren, werfen die Künstler*innen die Frage auf, wie es wieder möglich ist, Teil des Organismus Natur zu werden und welche Erzählungen es hierfür braucht, um ein empathisches Moment gegenüber der als selbstverständlich gegebenen Umwelt zu werden. Digitale Technologien ermöglichen ein spielerisches und vielgestaltiges Verstehen und schaffen einen erweiterten Möglichkeitsraum, Erzählungen erfahrbar zu machen. Gleichzeitig entwickeln sich diese Räume konstant weiter und bieten immer wieder neue Herangehensweisen, die aus unserem digitalen Alltag schöpfen.
Podiumsdiskussion
Ort: Senatssaal (FernUniversität in Hagen)
Mit Christian Minwegen, Manuel Talarico – Residencies des Dortmunder U
Moderation: Valentin Boczkowski (Dortmunder U)
In vielen digitalen Kommunikations- und Präsentationsräumen zeigt sich bei den beteiligten Nutzerinnen und Zuschauerinnen ein ausgeprägtes Bedürfnis nach emotionaler Echtzeit-Darstellung. Technische Mittel wie Deepfakes, Filter oder generierte Avatare erweitern dabei unmittelbar das Ausdrucksrepertoire digitaler Interaktionen. In Livestreams und Videoformaten wird eine stilisierte Form von Hyper-Emotionalität seitens der Content-Creator*innen häufig durch Spenden, Likes und Kommentare belohnt.
Dass auch im politischen Diskurs vor allem jene Akteurinnen erfolgreich sind, die digitale Plattformen als Orte zur Befriedigung emotionaler Bedürfnisse verstehen, legt nahe, dass die Performance von Emotionen und der Ausdruck von Empathie in diesen Räumen zu zentralen sozialen und ökonomischen Ressourcen geworden sind – gewissermaßen zu Ware und Währung zugleich.
Die gesellschaftliche Bedeutung dieser Dynamiken verlangt nach einer interdisziplinären Betrachtung – sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus künstlerisch-forschender Perspektive. In diesem Beitrag möchten wir daher das Verhältnis von Emotionalität, Empathie und Authentizität im Zeitalter der Digitalität diskutieren.
Zentrale Fragen sind dabei:
Wie beeinflussen die Vermittlung und Rezeption von Emotionalität in digitalen Räumen unser allgemeines Verständnis und Erleben von Gefühlsausdruck?
In welchem Maße lassen sich technische und performative Werkzeuge als Hilfsmittel zur Förderung emotionaler und empathischer Kompetenzen verstehen – oder wirken sie eher als deren verzerrende Katalysatoren?
Werden digitale Räume durch ihre inhärente Stilisierung, Inszenierung und Performativität zu Bühnenräumen – und damit zu Orten künstlerischer Produktion?
Welche spezifischen Erkenntnispotenziale ergeben sich aus der Untersuchung dieser Phänomene im Kontext künstlerischer bzw. szenischer Forschung?
Vortrag
Ort: Senatssaal (FernUniversität in Hagen)
Tanja Prokić (Ludwig-Maximilians-Universität München)
Moderation: Carolin Rolf (FernUniversität in Hagen)
Mitte der 1960er Jahre hat Jacques-Alain Miller, ein Schüler Lacans, das Begriffsduo von Naht (Suture) und Wunde entwickelt, um die Erfahrung des Subjekts zu verdeutlichen, nicht Herr bzw. Urheber des (eigenen) Diskurses zu sein. Ende der 60er Jahre wird das Konzept von der Filmwissenschaft aufgegriffen und auf die Ebene der filmischen Rezeptionserfahrung übertragen. Dass das Subjekt, so die These, dessen, was es sieht, nicht Herr*in ist, sondern dass es einen körperlosen, geisterhaften Blick aneignet, rufe, so die Theorie, im sehendem Subjekt eine offene Wunde hervor oder eben auf. Der narrative Film Hollywoods entwickelte einige filmische Konzepte, um den Subjekten genau diese Erfahrung zu ersparen: er ‚vernähte‘ die einer Wunde gleichenden offenen Blicke zu einem einheitlichen filmischen Raumkonzept, in dessen Außen das zusehende Subjekt das profilmische Geschehen verorten kann. Dieser Vortrag soll das Konzept theoretisch vorstellen – und praktische Beispiele zeigen, in denen Film und Medienkunst uns als Zuschauer*innen abverlangen, uns selbst via Blick mit der filmischen bzw. medialen Welt zu vernähen. In diesem Zusammenhang geht es um die ,Cyborisierung‘ der Blicke, bei der digitale Technologien die Wahrnehmung neu formieren. Einerseits soll dabei geprüft werden (auch anhand der digitalen Kunst), wie sich das Konzept der ‚Suture‘ unter dem digitalen Primat verändert hat und welche Effekte sich daraus für Subjektivierungsprozesse ergeben. Einige Kernfragen lauten: Ist das Konzept der ‚Suture‘ auch auf die künstlerischen Konzepte (Affekte und Perzepte) der digitalen Kunst übertragbar und welchen Erkenntniswert bringt es, um Medienkunst im Kontext neoliberaler Partizipationskultur zu verorten und ihre Potenziale zu evaluieren? Welche Möglichkeiten hält die digitale Kunst der Gegenwart bereit, um eine Blickwende zu erzeugen, wo kommt der analoge Blick vielleicht an ein Ende? Welche Transformationen ergeben sich für das Bildliche, wenn sich die Relationen zwischen Material, Erzählen und raumzeitliche Lokalisationen der Rezipient*innen verschieben?
Bio
Tanja Prokić ist Literatur- und Medienwissenschaftlerin. Von 2021-2025 war sie Vertretungsprofessorin für Neuere deutsche Literatur und Medien an der LMU München. Ihre wissenschaftliche Expertise liegt auf Medienästhetiken (Film, Fotografie, Digitale Medien) und Literatur des 20. und des 21. Jahrhunderts. Zwischen 2017 und 2021 war sie Teilprojektleiterin eines SFB-Projekts (1285) zu invektiver Theatralität. In diesem Kontext entstanden mehrere Arbeiten zu digitaler Kultur. Im Februar erscheint ein Essay zum digitalen Alltag. Aktuell arbeitet sie an einer Studie zum Zusammenhang von Erzählen und Trauma. Weitere Informationen unter www.tanja-prokic.de.
Vortrag
Ort: Senatssaal (FernUniversität in Hagen)
Thomas Bedorf (FernUniversität in Hagen)
Moderation: Robert Schulz (FernUniversität in Hagen)
Unsere Körper enden nicht an den Grenzen unserer Haut. Für die kulturell habitualisierten und geformten Körper haben schon immer Werkzeuge und andere Artefakte den Kontakt zur und die Bewegung in der Welt vermittelt, ohne dass sich deren Gebrauch nur instrumentell den Absichten des Subjekts zurechnen ließ. Durch ihren Eigensinn haben die Dinge mehr als nur Objektcharakter, sie haben – wie man seit kurzem sagt – ‚agency‘. Das gilt nicht nur für zuhandene Dinge zur Welterschließung wie der unter Philosophen berühmte Blindenstock (von Ernst Mach bis Maurice Merleau-Ponty), sondern auch und insbesondere für digital devices, mit denen wir so verwoben sind, dass die Enden des Körpers gar nicht mehr ohne Weiteres auszumachen sind (St. Rieger).
Da wir jedoch nicht nur Körper haben, sondern auch Leib sind, gilt es Erfahrungen als situierte zu beschreiben. Denn in jeder Erfahrung sind wir je schon korporal situiert und nehmen so und von dort aus die Welt wahr – wir handeln und sprechen in und zu ihr. In Reflexion auf die jeweilige Situiertheit können auch die Strukturen sichtbar gemacht werden, die unsere Erfahrungen ermöglichen.
Der Vortrag will den Begriff der Situiertheit in seiner Herkunft auch aus der Geschichte der KI nachzeichnen und diskutieren, inwieweit Situiertheit im technisch und digital Vermittelten gedacht wurde bzw. gedacht werden kann.
Bio
Thomas Bedorf ist Professor für Praktische Philosophie an der FernUniversität in Hagen. 2015-2017 Präsident der Deutschen Gesellschaft für phänomenologische Forschung. 2019-2024 Sprecher des Forschungsschwerpunkts digitale_kultur der FernUniversität in Hagen. 2019/20 Fellow am IMéRA – Institut d’Études Avancées der Universität Aix-Marseille. Seit 2022 Gründung und Leitung von Hagen University Press.
Letzte Publikationen: Bodenlos situiert. Eine politische Phänomenologie (Berlin: Suhrkamp 2025); Political Phenomenology. Experience, Ontology, Episteme, (hrsg. mit Steffen Herrmann, London, New York: Routledge 2019); Digitale Hermeneutik. Maschinen, Verfahren, Sinn (hrsg. mit Peter Risthaus, Hagen: Hagen UP 2024); Digitale Grundbegriffe (hrsg. mit Daniel Schubbe-Åkerlund u. Anna Tuschling, Hagen: Hagen UP 2025).
12:30 Uhr
Mittagspause
13:30 – 15:00 Uhr | W/ENDEN DER ERINNERUNGSARBEIT
Vortrag
Ort: Senatssaal (FernUniversität in Hagen)
Ernst Hüttl (Ludwig-Maximilians-Universität München)
Moderation: Isabelle Sarther (FernUniversität in Hagen
Zeitzeug*innen nehmen seit vielen Jahren eine bedeutende Rolle bei der Auseinandersetzung mit dem Holocaust ein, insbesondere in Bildungskontexten. Angesichts der Tatsache, dass die letzten Zeitzeug*innen ihre Erinnerungen in absehbarer Zeit nicht mehr persönlich übermitteln können, kündigt sich jedoch eine unausweichliche Wende in der Vermittlungsarbeit an. Es gilt daher, über geeignete Formen der Dokumentation, Archivierung und digitalen Aufbereitung autobiografischer Berichte nachzudenken. Ein Ansatz hierfür besteht in der Entwicklung interaktiver digitaler Zeugnisse: Es handelt sich dabei um ein Medienformat, das es Nutzer*innen ermöglicht, mit realen Aufzeichnungen von Zeitzeug*innen ähnlich wie in einem Zeitzeugengespräch zu interagieren. Im Münchner Projekt LediZ (Lernen mit digitalen Zeugnissen) wurden Holocaust-Überlebenden in einem Aufnahmestudio jeweils rund 1.000 Fragen zu ihren Erinnerungen, Ansichten und ihrer Person gestellt und die Antworten der Zeug*innen sowie ihre Erzählung stereoskopisch gefilmt. Stellen Nutzer*innen dem Medium heute Fragen, werden mithilfe eines Sprachverarbeitungsprogramms in Sekundenschnelle die passenden Antwortvideos zugewiesen und abgespielt. Seit fünf Jahren wird insbesondere das digitale Zeugnis des litauischen Holocaust-Überlebenden Abba Naor (*1928) intensiv an Schulen und Museen eingesetzt. Projektmitarbeiter Ernst Hüttl diskutiert, welche Erfahrungen dabei gesammelt wurden, welche Stärken, Schwächen und Herausforderungen das Medium aufweist, und wie sich die mediale und diskursive Rahmung der Zeugnisse in den vergangenen Jahren verändert hat.
Bio
Ernst Hüttl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der LMU München im Bereich Didaktik der deutschen Sprache und Literatur. Seit 2020 ist er im Projekt LediZ an der Entwicklung und Erforschung interaktiver Zeitzeugnisse Holocaust-Überlebender beteiligt. In seiner Promotion beschäftigt er sich mit Fragen zur Gestaltung, Funktionsweise und Rezeption dieses neuen Medienformats. Darüber hinaus ist er zertifizierter Medientechniker für virtuelle Produktion und hat Projekte in den Bereichen 3D und Virtual Reality u.a. für das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut, die LMU München, das Jewish Chamber Orchestra Munich und die Stadt Augsburg realisiert. Der Schwerpunkt seiner Lehre liegt auf Holocaust Education und Digital Storytelling.
Vortrag
Ort: Senatssaal (FernUniversität in Hagen)
Roman Smirnov (Ruhr-Universität Bochum)
Moderation: Isabelle Sarther (FernUniversität in Hagen)
Immersive VR-Medien haben sich seit der zweiten Popularisierungswelle der 2010er-Jahre (Bédard 2025) zunehmend im Bereich des Histotainments (Meyer 2009) sowie in didaktischen Bildungsprojekten wie Lernen mit digitalen Zeitzeugnissen (LMU München) etabliert. Rezipiert über Head-Mounted Displays, etwa von Meta, Pico oder HTC, ermöglichen sie durch realitätsnahe 3D-Grafik, 360°-Ansichten, sensorbasiertes Bewegungstracking, Soundscapes und die Ausblendung physischer Umgebungen ein intensives Präsenzgefühl (Slater 2018) – und damit ein emotionales ‚Eintauchen‘ in virtuelle Geschichtsdarstellungen (Lewers/Frentzel-Beyme 2023). Diese Emotionalisierung kann zwar Empathie und Involvement fördern (Barbot/Kaufman 2020), erschwert jedoch mitunter die kritisch-reflexive Distanz zu medialen (Re-)Konstruktionen der Vergangenheit (Nachtigall et al. 2022).
Zeitzeug*inneninterviews – ein zentrales Format der Oral History und zunehmend auch Gegenstand der Public-History-Forschung, etwa an der FernUniversität in Hagen – stellen eine verbreitete Strategie der Emotionalisierung in geschichtsbezogenen immersiven VR-Medien dar. Diese kann etwa durch Audioaufnahmen mit den Stimmen von Zeitzeug*innen erfolgen, wie im immersiven Video der BBC Easter Rising oder durch 360-Grad-Videoaufnahmen von Zeitzeug*innen, wie sie im Bildungsprojekt Chernobyl VR Project (The Farm 51) und im VR-Dokumentarfilm Traveling While Black (Felix & Paul Studios) zu finden sind.
Der Beitrag analysiert diese Strategien anhand ausgewählter Fallbeispiele und diskutiert aus Sicht der Public History didaktische wie ethische Herausforderungen – unter Berücksichtigung von Prinzipien der Personalisierung (Bergmann 2000a) und der Multiperspektivität (Bergmann 2000b). Ein dualer Ansatz verbindet die Analyse der VR-Inhalte mittels phänomenologischer Testverfahren mit der Untersuchung ihrer Rezeption durch Benutzer*innen, etwa in Kommentaren auf Steam und Meta sowie in YouTube-Video-Reviews, auf Basis von Close Reading und computergestützten Distant-Reading-Methoden.
Bio
Roman Smirnov hat Geschichte und Public History an der Staatlichen Universität Sankt Petersburg sowie der Ruhr-Universität Bochum studiert. Seit 07/2023 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im SFB 1567 Virtuelle Lebenswelten an der Ruhr-Universität Bochum. In seinem Promotionsprojekt untersucht er den Einfluss der immersiven VR-Technologien auf die Erinnerungskultur und das Geschichtsbewusstsein
Vortrag
Ort: Senatssaal (FernUniversität in Hagen)
Felix Ackermann (FernUniversität in Hagen)
Moderation: Isabelle Sarther (FernUniversität in Hagen)
Seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts laufen immer mehr Lebensfäden auf Mobiltelefonen zusammen. Mithilfe ihrer Benutzeroberflächen kommunizieren wir digital, navigieren im WWW, halten unser Leben fotografisch fest, speichern unsere Unterlagen und nehmen am gesellschaftlichen Diskurs teil. Auf Mobiltelefonen entstanden längst neue Dokumentations- und Erzähltechniken, mit denen wir unser Leben sortieren und in eine chronologische Ordnung bringen. Auf den digitalen Plattformen schaffen wir durch die Auswahl, Anordnung und das Weglassen oder Löschen eine Erzählung unseres Lebens. Diese ist auch über unsere Lebensspanne auf dem Server kommerzieller Anbieter gespeichert. Da sie sich dort in der Regel nicht erforschen lassen, sind Mobiltelefone schon jetzt wichtige Speicher, um biographische Forschung im digitalen Zeitalter durchzuführen. Die lokalen Kopien der auf Servern hinterlegten Daten ermöglichen ein neues Nachdenken über Zeugenschaft und Zeitlichkeit im 21. Jahrhundert. Ein Archiv von Mobiltelefonen und die digitalen Methoden zu ihrer Erschließung könnte biographisches Forschen neu denken.
Bio
Felix Ackermann ist seit Ende 2022 Professor für Public History an der FernUniversität in Hagen. In seinen Forschungen untersucht er das Nachwirken von Gewalt in Belarus, Litauen, Polen, der Ukraine und Deutschland. Seit 2023 leitet er die Hans Böckler Nachwuchsforschungsgruppe NFG026 zur Geschichte digitaler Kriegsöffentlichkeiten in Russland, der Ukraine und Belarus. Er war 2016–2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut Warschau, wo er eine Geschichte des Strafvollzugs im 19. Jahrhunderts schrieb. 2011–2016 lehrte er als DAAD Visiting Associate Professor for Applied Humanities an der belarussischen Exiluniversität EHU in Vilnius. 2001–2011 baute er das Institut für angewandte Geschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) auf.
15:00 Uhr
VERABSCHIEDUNG UND ZEIT ZUM AUSTAUSCH

