Jahresrückblick: 2022 im Dortmunder U
2022 – ein ereignisreiches Jahr neigt sich dem Ende zu. Wir blicken zurück auf 12 Monate voller Ausstellungen, Workshops, digitaler Experimente und großartiger Augenblicke.
Wenn man ein wenig durch die Stadt läuft, kommt man kaum umhin, es zu sehen: das große U mit seinen Fliegenden Bildern. Die Videoinstallation des Regisseurs Adolf Winkelmann begleitet Dortmund durchs Jahr und bringt Farbe in den städtischen Alltag. Manchmal kommentiert sie auch das Tagesgeschehen, erinnert an große Ereignisse und Dinge, die die Welt bewegen.
Davon gab es in diesem Jahr viele. Die Videoinstallation auf unserem Dach zeigte Friedenstauben zum Krieg in der Ukraine, Regenbogenfarben zum Start der WM in Katar, Orange zum Tag gegen Gewalt gegen Frauen – zur Earth Hour standen die Bilder still.
Allerdings ist die Frage danach, was 2022 alles unter dem Dach der fliegenden Bilder passiert ist, keine leicht zu beantwortende: „’Highlights‘ beim Dortmunder U zu nennen, ist immer sehr schwer“, erklärt Leiter Stefan Heitkemper. „Wir machen ein buntes und vielfältiges Programm für ganz unterschiedliche Zielgruppen.“
Große Ausstellungen, große Kunst
Zum einen gab es da die großen Ausstellungen.
In der sechsten Etage begann das Jahr mit „EFIE. The Museum as Home. Kunst aus Ghana.“ Die Sonderausstellung zeigte historische und zeitgenössische Kunst aus Ghana gleichwertig nebeneinander: bunte Stoffbilder, multimediale Installationen, begehbare Objekte und moderne Versionen der sogenannten „Fufuzelas“ (Häuser), in denen traditionelle ghanaische Kunstwerke, wie Statuen und ritueller Schmuck, ein neues Zuhause fanden.
Durch die Verbindung mit zeitgenössischer, „lebendiger“ Kunst aus Ghana sollten die alten Werke „gereinigt“ und wiederbelebt werden, nachdem sie aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen wurden und in musealen Sammlungen der westlichen Welt vereinsamt waren. Die Ausstellung stellte die Frage, wie ein Museum zu einem passenden Zuhause für die gezeigten Kunstwerke werden kann.
BLUMEN!
Es folgte die die große Sonderausstellung „FLOWERS!“. Hier präsentierte das Museum Ostwall Kunstwerke des 20. und 21. Jahrhunderts, die Blumen in den Fokus rücken: Werke von fast 150 berühmten Künstler*innen wie Max Beckmann, Joseph Beuys, David Hockney, Hannah Höch, Gabriele Münter, Gerhard Richter, Suzanne Valadon und Andy Warhol. „FLOWERS!“ illustrierte die Entwicklung des Blumen-Motivs von der Klassischen Moderne bis heute und zeigte vor allem auch: Das Motiv der Blume blüht auch heute noch.
Die dritte und letzte Sonderausstellung „Klare Kante“ startete im November und läuft noch bis zum 8. Januar 2023. Der Landesverband NRW des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK NRW) zeigt hier 127 verschiedene Werke von Künstler*innen aus ganz Nordrhein-Westfalen. Themen: die Auseinandersetzung mit globalen Herausforderungen wie Krieg, Corona-Pandemie, Umweltzerstörung, Machtmissbrauch oder Klimawandel.
Kunst, Körper, Seele
Auch im Museum Ostwall auf der vierten und fünften Etage war 2022 große Kunst zu sehen. Neben zahlreichen Ausstellungen im MO-Schaufenster (wie z.B. Hannah Cooke, Trägerin des diesjährigen MO_Kunstpreises), ging im Museum Ostwall die Sammlungspräsentation „Body & Soul. Denken, Fühlen, Zähneputzen“ in ihr drittes Jahr.
Klassiker der Moderne hängen hier neben zeitgenössischen Kunstwerken, Picasso, Kirchner, Beuys zusammen mit Videokunst von Bill Seaman und der neu erworbenen „Donation Box“ von Michael Landy. In „Body & Soul“ setzt das Museum Ostwall seine Sammlung in einen neuen Kontext und geht der Frage nach, wie das Hand-in-Hand-Gehen von Körperlichkeit und Geistigkeit, von Körper und Seele unser Leben und auch die Kunst beeinflussen, bestimmen, ja sogar beflügeln. Im nächsten Jahr zeigt das Team des MO mit der neuen Sammlungspräsentation „Kunst -> Leben -> Kunst. Das Museum Ostwall gestern, heute, morgen“, dass die Verbindung von Kunst und Leben bereits in der Gründung des Museum Ostwall 1949 angelegt war.
Neben den großen Ausstellungen waren es aber auch die vielen kleineren Aktionen, Projekte und Workshops, an denen sich unsere Gäste erfreuten und die auch das U zu dem Ort machen, der er ist.
Mitmachen, eintauchen – Interaktives Kulturerlebnis
„Das Dortmunder U ist Leuchtturm und Identifikationspunkt der Stadt, ein Symbol der Veränderung. Ein Ort, an dem alle willkommen sind, egal woher sie kommen.“, fasst Stefan Heitkemper zusammen. „Das U ist ein Ort für Liebhaber*innen bedeutender Kunst und Kultur und ebenso ein wunderbarer Treffpunkt: Ein netter Kinoabend, ein Konzert beim Sommer am U, eine spannende Reise in digitalen Welten oder die kulturelle Bildung der eigenen Kinder sind hier möglich. In der Summe kann hier jede*r etwas erleben.“
Und 2022 konnten unsere Gäste so einiges erleben: Passend zur Ausstellung „EFIE“ fertigten Kinder und Jugendliche beim Familiensonntag in einem Ghana-Fashion-Workshop bunte Kopftücher, Halstücher und Armbänder an. Die in Ghana geborene Dolmetscherin und Integrationshelferin Cassandra Lahmer und die Kunstvermittlerin Maika Wolff gewährten in Tandemführungen interessante Einblicke in ghanaische Traditionen, Bräuche und die bewegte Geschichte des Landes.
Während „FLOWERS!“ fanden verschiedene Angebote im Rahmenprogramm statt, in denen die Teilnehmer*innen neue Verbindungen zwischen Kunst und Botanik kennenlernen konnten. So ging es beispielsweise bei Duft- und Wildblumenspaziergängen hinaus in den Stadtraum, im „Flower Hoop“-Workshop wurden Blumen künstlerisch auf Ringe gebunden und in Kooperation mit dem botanischen Garten Rombergpark sogar komplette Blumenbeete auf dem Vorplatz des Dortmunder U anlegt.
Lesung, Yoga und Bootcamp
Ganz unabhängig vom Ausstellungsprogramm gab es außerdem etliche Kino-Abende, das Türkische Film-Festival und Theateraufführungen. Im Rahmen des „Kleinen Freitag“ fanden Lesungen zu verschiedenen politisch-gesellschaftlichen Themen wie Migration, Feminismus und Bodypositivity, außerdem Standup-Comedy und Satire. Im Fitness-Bootcamp jagten die Teilnehmenden sogar durch alle Etagen des Dortmunder U.
Passend zum Titel „Body & Soul“ bot das Museum Ostwall Yogastunden in der Sammlungspräsentation an. Dabei machte eine Yogalehrerin mit den Gästen vor ausgewählten Gemälden und Skulpturen zum Kunstwerk passende Übungen für Körper und Geist.
Wenn es um interaktive Kulturarbeit und Programm zum Mitmachen geht, sei besonders die uzwei auf der zweiten Etage genannt: Kaum ein anderer Ort steht so für die Einbindung der Besucher*innen wie die uzwei.
Neben wechselnden Ausstellungen, in denen auch regionale Kunstschaffende ausstellten (in diesem Jahr etwa die „Emerging Artists“ mit aufstrebenden, jungen Dortmunder Künstler*innen, „I was here“ mit Arbeiten von lokalen Graffiti- und Streetart-Artists oder der Familienausstellung „Traffik“), gab es in der uzwei auch wieder ein unglaublich großes Angebot an Workshops und interaktiven Angeboten.
Digitale Experimente und Medienkunst
Da waren Workshops zu digitalen Themen wie elektronischer Musikproduktion oder zur Erstellung von 3D-Animationen, Kunst-Workshops für Kinder und Jugendliche, sowie Brettspiel- und Gaming-Abende. Besonders gut wurden auch die Ferienprogramme der uzwei und des Museum Ostwall angenommen, in denen interessierte Schüler*innen kreativ werden konnten.
„Das Feedback war überwältigend“, fasst Stefan Heitkemper die Reaktionen auf das Ferienprogramm zusammen.[NH4]
Am Puls der Zeit war die uzwei 2022 besonders im digitalen Bereich: Die abschließende Ausstellung der uzwei, „Neun Sonnen“, zeigt noch bis zum 15. Januar Werke aufstrebender Medienkünstler*innen und lädt zum Abtauchen in andere Dimensionen ein.
Die Ausstellung öffnet euch die Tore zu einer fremden, digitalen Welt der Zukunft, über der neun Sonnen scheinen. Jedes Kunstwerk erfordert Interaktion, ob während einer Reise mit der VR-Brille oder in Fragerunden, in denen man sich außerirdischen Wesen stellen muss, um sich selbst zu finden. Das zeigt eindrucksvoll: Kunst schaut man sich nicht nur an, Kunst macht man mit.
Von der VR-Brille bis zum immersiven Raum
Aber auch in anderen Bereichen wird die Digitalität im Dortmunder U immer wichtiger: „Nach den Umstrukturierungen der letzten Jahre ist viel frischer Wind im Dortmunder U. Das wird auch deutlich, wenn man auf unsere neue Homepage schaut“, erklärt Stefan Heitkemper. „Auch die Angebote der digitalen Kultur wachsen immer weiter und werden mittlerweile in ganz NRW angefragt. Egal ob Mapping, immersiver Raum, Fulldome oder mit digitalen Ausstellungsprojekten – wir erreichen zunehmend neue Zielgruppen, sowohl online als auch vor Ort.“
Was Interaktivität und Digitalität angeht, gehört der HMKV (Hartware MedienKunstVerein) in der dritten Etage zu den renommiertesten Adressen in Deutschland. Der HMKV zeigte auch in diesem Jahr wieder nationale und internationale Medienkunst „at its best“.
Ausgehend von der Figur des Schamanen, die Joseph Beuys Zeit seines Lebens kultivierte, widmete sich die Ausstellung „Technoschamanismus“ aktuellen künstlerischen Positionen. Diese verstehen Schamanismus nicht nur selbst als Technologie, sondern suchen nach schamanischen Kräften mittels des Einsatzes von (spekulativer) Technologie.
Die anschließende Ausstellung „House of Mirrors: Künstliche Intelligenz als Phantasma“ beschäftigte sich künstlerisch mit dem Thema der Künstlichen Intelligenz. Sie nahm die gängigen Klischees über KI zum Anlass, um über Themen wie versteckte menschliche Arbeit, algorithmische Vorurteile/Diskriminierung, das Problem der Kategorisierung und Klassifizierung sowie unsere Phantasien über KI zu sprechen.
Zurzeit im HMKV zu sehen: Die Einzelausstellung „Pranayama Typhoon Soft Parts Wing Flap Fin“ der Künstlerin Fiona Banner, alias „The Vanity Press“, die mithilfe einer Videoarbeit und einer riesigen Installation zwei militärischen Flugzeugattrappen Leben einhaucht. Die Ausstellung läuft noch bis zum 29. Januar 2023.
Lebendige Fassaden dank Mapping-Kunst
Medienkünstlerische Arbeit auf höchstem Niveau leistete 2022 auch das storyLab kiU der FH Dortmund. Das kiU, das zusammen mit der TU Dortmund die erste Etage bespielt (beispielsweise mit einer Ausstellung zum 50. Jubiläum der Robotik an der TU Dortmund) gab dieses Jahr mehrere aufwändige Mapping-Vorführungen auf der Fassade des Dortmunder U.
Zum 50. Jubiläum der FH Dortmund und zur Museumsnacht beamten die Künstler*innen des kiU perfekt auf die Fassade zugeschnittene 3D-Animationen an die Außenwände des Dortmunder U. Die Fassade wurde dank des Mappings für die Zuschauer auf unserem Vorplatz geradezu lebendig.
Die zu Rhythmus, Sound und Musik pulsierenden Bilder spielten einerseits mit der Wahrnehmung der Zuschauer*innen, thematisierten aber auch aktuelle politische Themen wie Krieg und Vertreibung. Bildzitate aus der Kunst- und der Philosophiegeschichte Europas, sowie Nachrichten der letzten 50 Jahre ließen die Fassade zu einem Sprachrohr für Friede und Freiheit werden.
Begegnungen und Beats
Das kam bei den Leuten unglaublich gut an. Stefan Heitkemper erinnert sich an eine Begegnung, die ihm das nochmal vor Augen führte: „Ich bin an dem Abend zufällig mit einer älteren Dame ins Gespräch gekommen, die mit ihrer Familie gekommen war, um ‚FLOWERS!‘ zu sehen. Mit leuchtenden Augen erzählte sie mir von ihrem Tag. Sie hatten sich die Ausstellung angeschaut, schöne Fotos von der Blumenpracht vor dem Dortmunder U gemacht und sich dann noch das Fassaden-Mapping angesehen. ‚Ich glaube, dass war einer der schönsten Tage, die ich noch auf dieser Erde habe!‘, hat sie mir dann gesagt. Das hat mir noch einmal gezeigt: Dortmund kann mehr. Wir müssen in den nächsten Jahren die Stadt und das U enger miteinander verbinden und unsere Plätze gestalten.“
So wie beim alljährlichen „Sommer am U“. Zum neunten Mal brachte er dieses Jahr unseren Vorplatz zum Klingen. Den ganzen Sommer lang fanden kostenlose Konzerte statt, Poetry Slams und buntes Programm. Von Jazz über Indie bis hin zu elektronischer Musik waren Bands und Musiker*innen aller möglichen Genres zu hören und einmal gab es sogar eine Zaubershow. Ein Grund mehr, sich auch auf nächstes Jahr zu freuen: Denn dann findet der „Sommer am U“ zum zehnten Mal statt und hält zum Jubiläum die ein oder andere Überraschung bereit!
Kultur mit Festival-Flair
Ein weiteres Highlight 2022: die „Extraschicht“, das Kulturfestival fürs Ruhrgebiet schlechthin. An 50 Spielorten fanden über 500 Events in der ganzen Region statt: Ausstellungen, Konzerte, Theater, Lesungen und Comedy und wir waren natürlich auch wieder mit dabei.
Bespielt wurde – wie jedes Jahr – das gesamte Haus und auch unser Vorplatz. Vermittler*innen führten Besucher*innen in Führungen durch die Ausstellungen und überall gab es Musik, Künstler*innen-Gespräche, Performances und interaktive Stationen.
Ein zweites Großevent war die Dortmunder Museumsnacht im Herbst, während der in ganz Dortmund rund 40 Kultureinrichtungen ihre Türen für abendliche Besucher*innen öffneten.
„In Erinnerung geblieben ist mir da Jacqueline Hen, Lichtkünstlerin aus Köln“, sagt Stefan Heitkemper. „Sie hat während der Museumsnacht mit ihrem Projekt ‚Sympoiesis‘ tausende Glühwürmchen und einige ‚Imker‘ zwischen dem Museum für Kunst und Kulturgeschichte und dem Dortmunder U verteilt, um deutlich zu machen, wie viel Kultur bereits jetzt in der Kulturmeile in der Dortmunder City steckt.“
Drinnen, draußen und in der ganzen Stadt
Raus in die Stadt ging es auch bei anderen Aktionen. Mithilfe des „Tagtool!-Mobils“ strahlten Kunstvermittler*innen der uzwei zusammen mit Jugendlichen Bilder und Muster auf die Fassaden der Stadt.
Bei „Rund ums U“ fanden (wie der Name schon sagt) in etlichen Locations in unserer direkten Nachbarschaft Partys und Veranstaltungen statt – in Clubs aber auch an ungewöhnlichen Orten, die so zur Tanzfläche wurden. So wie etwa beim „Silent-Disco-Battle“, einer Party nur mit Kopfhörern auf unserem Vorplatz.
Weithin sichtbar ist auch die Zusammenarbeit von 44309publicart mit der uzwei. Gemeinsam nehmen sie an der internationalen Kunstaktion „Inside Out“ des französischen Künstlers JR teil, bei der die Portraits von rund 500 Dortmunder*innen im öffentlichen Raum plakatiert wurden.
„Mit den Portraits der Künstler JR und Ken Kodak an der Brinkhoffstraßenkurve geben wir eine künstlerische Antwort auf die Frage, wie die Dortmunder*innen sich während der Pandemie gefühlt haben“, so Stefan Heitkemper.
Nach einem ereignisreichen Jahr freut sich unser Leiter Stefan Heitkemper schon auf 2023: „Wir werden unsere digitalen Säulen stärken, Bürger*innen über neue Formate eng in unser Programm einbinden und mit Nam June Paik einen internationalen Medienkünstler und mit Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten zwei großartige Dortmunder Newcomer der Medienkunst präsentieren.“
Und auch ihr könnt euch freuen. Auf 2023 im Dortmunder U!
Text: Phillip Michael