Französische Plastik des 20. Jahrhunderts, 1959. Bild: Archiv MO

Die Geschichte des Museums Ostwall

Seinen Namen bekam das „Museum Ostwall im Dortmunder U“ 1947: Die Stadt Dortmund beschloss, „Am Ostwall 7“, dem ehemaligen Standort des Museums für Kunst und Kulturgeschichte (MKK), eine Ausstellungshalle für Moderne Kunst zu gründen. Unter der Leitung von Dr. Leonie Reygers, der ehemaligen Stellvertreterin von MKK-Direktor Dr. Rolf Fritz, entstand hier in den Nachkriegsjahren das „Museum am Ostwall“, das die regionale Kunstszene entscheidend prägte und sich mit namhaften Institutionen in In- und Ausland vernetzte.

Leonie Reygers war 1937, während des Nationalsozialismus, aus Berlin in das Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte gekommen und hatte dort als Assistentin und später Stellvertreterin des Museumsdirektors Dr. Rolf Fritz gearbeitet. Als Fritz 1940 in den Kriegsdienst eingezogen wurde, übernahm Reygers bis 1944 stellvertretend die Leitung des Hauses und organisierte hier während des Zweiten Weltkriegs Ausstellungen und Veranstaltungen. Als die deutschen Truppen 1943 an mehreren Fronten von den Alliierten zurückgeschlagen wurden und die Luftangriffe auf deutsche Städte zunahmen, begann Reygers den städtischen Kunstbesitz nach Schloss Cappenberg auszulagern, wodurch dieser vor der Zerstörung gerettet werden konnte. 1944 wurde das Museumsgebäude durch Bombardements bis auf die Grundmauern zerstört. Die Kunst blieb viele Jahre in Schloss Cappenberg, bis das Museum für Kunst und Kulturgeschichte 1983 an seinem heutigen Standort in der Hansastraße wiedereröffnen konnte.

Am Ostwall 7 aber entstand nach dem Krieg ein lebendiger Ort für zeitgenössische und moderne Kunst: 1947 beschloss der Rat der Stadt Dortmund, dass das Gebäude wieder aufgebaut werden sollte, um als Ausstellungshalle für Dortmunder Künstler*innen, vor allem aber für die von den Nationalsozialisten als „entartet“ diskreditierte Kunst der Klassischen Moderne zu dienen. Reygers wurde zur Leiterin ernannt und begann sofort mit der Aufbauarbeit. Schon im Januar 1949 fand in der nur notdürftig wieder hergerichteten Ruine die erste Ausstellung des Dortmunder Künstlerbundes statt, im Juni desselben Jahres wurde mit der „August Macke Gedächtnisausstellung“ einer der wichtigsten Künstler der Klassischen Moderne geehrt.

Rückbau der Ruine als Vorbereitung für den Wiederaufbau des Museumsgebäudes, um 1954. Foto: Erich Angenendt, Stadtarchiv Dortmund

Auszug aus der Historie:

Die Frage, ob hier eine Ausstellungshalle oder ein Museum mit einer eigenen Sammlung entstehen sollte, war in Dortmund stark umstritten, denn es gab ja bereits die Kunstsammlung des Museums für Kunst und Kulturgeschichte, auch wenn diese nach wie vor ausgelagert war und es für sie kein eigenes Gebäude gab. Leonie Reygers war jedoch gut vernetzt, und so gelang es ihr, sich durchzusetzen: 1957 kaufte die Stadt Dortmund mit Hilfe eines privaten Darlehens die expressionistischen Kunstsammlung des  Bochumer Industriellen Karl Gröppel, die, zusammen mit einzelnen Werken, die Reygers vorab nach und nach zusammengetragen hatte, den Grundstein für eine eigene Sammlung im Museum Ostwall legte. Später wurde entschieden, den Dortmunder Kunstbesitz aufzuteilen, so dass Kunstwerke, die bis 1900 entstanden, heute im Museum für Kunst und Kulturgeschichte zuhause sind, und alle danach entstandenen dem Museum Ostwall gehören.

Reygers baute eine hochkarätige Sammlung auf und organisierte Ausstellungen, die auch international großes Interesse hervorriefen. Das von ihr aufgebaute Netzwerk bestand aus sehr heterogenen Kontakten, wie es vielleicht für die Nachkriegszeit typisch war: Reygers  war z.B. mit dem jüdischen Galeristen, Kunsthistoriker und Picasso-Kenner Daniel-Henry Kahnweiler befreundet, der ihr zu wichtigen Kontakten in der zeitgenössischen französischen Kunstszene verhalf. Auch pflegte sie enge Kontakte zu Willem Sandberg, dem damaligen Direktor des Stedelijk Museums in Amsterdam, der international für sein modernes und progressives Museumsverständnis bekannt wurde. Gleichzeitig wurde sie von Kurt Martin, dem damaligen Direktor der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe gefördert, der von den Nationalsozialisten unterstützt worden und während des Nationalsozialismus an der Enteignung von Kunstsammler*innen beteiligt gewesen war. Zu dem Kunsthändler Hildebrandt Gurlitt, der u.a. während des Nationalsozialismus Kunstwerke der Klassischen Moderne, die von den Nazis in deutschen Museen als „entartet“ beschlagnahmt worden waren, ins Ausland verkauft hatte, pflegte sie so gute Kontakte, dass 24 von 111 Werken, die sie 1956 für eine Ausstellungstournee durch die USA zusammenstellte („German Watercolours, Drawings and Pronts 1905-1955) aus seiner Sammlung stammten. Aus diesem Grund ist Provenienzforschung, d.h. die Recherche, woher die Kunstwerke in der Sammlung des Museums Ostwall stammen, heute ein wichtige Aufgabe des Museums.

Das Museum Ostwall machte sich jedoch in den 1950er und 1960er Jahren nicht nur einen Namen als Institution für die Kunst der Moderne, es stand auch für ein modernes Museumsverständnis. Reygers gestaltete die Museumsräume wohnlich und mit zeitgenössischem Design, um eine angenehme Aufenthaltsatmosphäre für die Besucher*innen zu schaffen. Sie richtete einen Lesesaal ein, in dem Besucher*innen in aktuellen Zeitschriften zu Kunst und Design blättern könnten, und versuchte mit niedrigschwelligen Angeboten wie Weihnachtsmärkten, Puppentheater oder Konzerten, ein breites Publikum für das Museum zu gewinnen. Auf einer Reise in die USA hatte sie Museen besucht, die ihre Häuser als Bildungseinrichtung verstanden. Davon inspiriert gründete sie 1961 die erste „Kindermalstube“ in einem deutschen Museum und ließ Kinder vor den Kunstwerken in der Ausstellung selbst kreativ werden.

Der Lesesaal, 1952. Foto: Albert Renger-Patzsch, Nachlass Reygers
Französische Plastik des 20. Jahrhunderts, 1959. Foto: Archiv MO

Nachdem Leonie Reygers in den wohlverdienten Ruhestand gegangen war, übernahm ihr Assistent Eugen Thiemann 1967 die Leitung des Museums Ostwall. Er öffnete das Haus für die vielfältigen neuen Kunstkonzepte der 1960er Jahre und schuf so einen wichtigen Ort zeitgenössischer Kunst. Den Auftakt setzte der neue Direktor des Hauses mit der Ausstellung „Wege 67“, einer wichtigen Zusammenstellung „Deutscher Kunst der jungen Generation“; im selben Jahr folgte die Ausstellung „Fire Flower Power“ des damals noch jungen Zero-Künstlers Otto Piene mit Performances, Lichtarbeiten und Feuerbildern. Auch Ausstellungen zu der damals neuen Kunstform des „Environments“ (begehbare Kunstinstallationen) oder zur Fluxus-Bewegung waren absolut am Puls der Zeit. Die Happenings und Performances, die Auseinandersetzung mit alltagsbezogenen Kunstformen, bei denen die Besucher*innen zu Akteur*innen wurden, oder Präsentationen von bisher als „kunstfern“ geltenden Materialien (z.B. in den Ausstellungen „Kunst und Kunststoff“ oder „Bildblöcke und Schaumstoffräume“) stellten das Publikum vor Herausforderungen und brachten Thiemann nicht nur positive Medienresonanz ein. Thiemann ließ sich jedoch nicht beirren und zeigte Ausstellungen einiger der rückblickend wichtigsten Künstler jener Zeit, unter ihnen Allan Kaprow, Wolf Vostell oder Joseph Beuys. Auch knüpfte Thiemann Kontakte zu Wolfgang Feelisch, dem Gründer des Remscheider VICE-Versands für Multiples und Fluxus-Sammler, und dem Sammler Siegfried Cremer. Ihm ist es zu verdanken, dass 1987 und 1991 (unter seinem Nachfolger Ingo Bartsch) großer Teile beider Sammlungen angekauft werden konnten. Sie bilden heute wichtige Schwerpunkte der MO_Sammlung in den Bereichen Happening, Fluxus, Multiple, Nouveau Réalisme und Konkreter Poesie.

Bildblöcke und Schaumstoffräume
Karolus Lodenkämper und Ferdinand Spindel, 1969. Foto: Archiv MO
Allan Kaprow: Happening – Activity, 1986. Foto: Archiv MO

Ingo Bartsch, der 1988 die Leitung des Hauses übernimmt, war Spezialist für italienische Kunst und holte 1993 mit Fabrizio Plessi einen der wichtigsten italienischen Medienkünstler ins Haus. Unter seiner Leitung fanden große Ausstellungen arrivierter Kunstrichtungen wie „Von der Brücke zum Blauen Reiter“ (1996) oder „…auch wir Maschinen, auch wir mechanisiert! … Die zweite Phase des italienischen Futurismus 1915 – 1945“ (2002) statt. Auch Ausstellungen zur informellen Malerei seit den 1950er Jahren oder von Künstler*innen Konkreter Malerei und Plastik fallen in diese Zeit. Mit der Ausstellung „Die Subversion des Lachens“, kuratiert von Bartschs Mitarbeiterin Rosemarie Pahlke im Rahmen des femme totale Filmfestivals kamen mit Arbeiten von Lili Fischer, Rosemarie Trockel, Anna Blume u.a. erstmals dezidiert feministische Positionen in das MO. Bartsch förderte aber auch jüngere künstlerische Positionen aus Dortmund und Nordrhein-Westfalen, für die u.a. in den Räumen des ehemaligen Lesesaals ein „Studio“ geschaffen wurde.

Besonderen Wert legte Bartsch auf die wissenschaftliche Publikation des MO_Sammlungsbestands: So erstellten zum Beispiel Dieter Daniels, Barbara John und Peter Schmieder 1991 bzw. 1994 einen dreibändigen Katalog zur Sammlung Cremer, 1993 erschien ein Katalog zu den Erwerbungen aus der Sammlung Feelisch mit ausführlichen Texten zu einzelnen Werken von Peter Schmieder, und 1995 und 2001 gab das Museum zwei umfangreiche Bände mit „Meisterwerken“ der Sammlung heraus.

Jochen Gerz. Das Geschenk
Im Rahmen der Ausstellung vision. Ruhr, 2000. Foto: Archiv MO
Die Subversion des Lachens, 1993
Foto: Helga Kirchberger

Kurt Wettengl, der die Leitung des MO 2005 übernahm, konzentrierte sich mit seinen Ausstellungen auf namhafte zeitgenössische Künstler*innen und präsentierte u.a. große Werkschauen von Thomas Rentmeister, Adrian Paci, Anna und Bernhard Blume oder Ilya und Emilia Kabakow. Er griff die Reygers’sche Idee wieder auf, als Museum in gesellschaftliche Diskussionen hineinzuwirken, zeigte im Studio Ausstellungsreihen zu Stadt/Raum und Migration und lud das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Schrumpfende Städte“ zu einer Präsentation ein. Mit dem Sammlungsbestand des Museums wurde nun dynamischer verfahren: Statt einer Dauerausstellung gab es nun eine „Sammlung in Bewegung“, deren Präsentation im Obergeschoss des Hauses in Teilen regelmäßig neu gestaltet wurde und so immer wieder neue Perspektiven auf bekannte Werke ermöglichte.

Für den Umzug des Museums Ostwall in das Dortmunder U im Jahr 2010 entwickelte Wettengl in Anlehnung an den Kunsthistoriker Alexander Dorner die Idee vom „Museum als Kraftwerk“, also eines Museums, das Impulse aus der Gesellschaft aufnimmt und seinerseits in den Alltag hinein wirkt, ein Museum, dessen Sammlung als Speicher des kulturellen Gedächtnisses funktioniert, das aber gleichzeitig durch verschiedene Aktivitäten zu einem lebendigen Ort werden kann. Neben einem Ausbau der bildungspädagogischen Angebote der MO_Kunstvermittlung wurde nun auch erstmals mit Formen partizipativen Kuratierens experimentiert: Im Interaktiven Bildarchiv konnten Besucher*innen schon 2010 eigene Fotografien mit Werken aus der Sammlung in Dialog bringen und digitale Bildersammlungen erstellen – damals noch bewusst offline, so dass die Zusammenstellungen nur im Museum zu sehen waren und Teil der Ausstellung wurden.

Durch den Ankauf von Werken aus der Sammlung Feelisch und der Akquise von Dauerleihnahmen aus der Sammlungen Braun/Lieff und der Dieter Roth Sammlung Spankus (die allerdings erst 2016 in das MO kam) gelang es, den Schwerpunkt lebensnaher Kunstformen auszubauen und ein für die Region wichtiges Alleinstellungsmerkmal zu entwickeln.

Adrian Paci: still moving, 2007. Foto: Jürgen Spiler
Andrea Knobloch, Ingke Günther und Jörg Wagner: WM-Erfrischungspavillon, 2006. Foto: Archiv MO

Von hier aus weiter…

Als Kurt Wettengl 2015 das Museum Ostwall verließ, trat das Haus in eine Phase des Übergangs ein. Unter verschiedenen kommissarische Leitungen und der zwei Jahre dauernden Leitung durch den Direktor des Dortmunder U, Edwin Jacobs (2017 bis 2019), entwickelte und schärfte das MO Team weiterhin sein inhaltliches Profil. Regina Selter, stellvertretende und teils auch kommissarische Direktorin und Dr. Nicole Grothe als Leiterin der Sammlung formulierten Sammlungsleitlinien für die Zukunft und bauten Netzwerke und Kooperationen aus. Ausstellungen, Sammlungspräsentationen und Bildungsangebote verfolgen heute klar das Ziel, an die Alltagserfahrungen eines diversen Publikums anzuknüpfen und diesem durch die Auseinandersetzung mit Kunst Denkanstöße für das eigene Leben zu liefern.

Seit dem von Jacobs angestoßenen grundlegenden Umbau der beiden Sammlungsetagen im Dortmunder U werden die Sammlungsbestände im zwei- bis dreijährigen Wechsel in Themenausstellungen präsentiert. Statt in einer nach kunsthistorischen Kategorien gegliederten, statischen „Dauer“ausstellung begegnen die Besucher*innen nun Werken vom Expressionismus bis zur Gegenwart, die anhand lebensnaher Fragestellungen miteinander in Dialog treten. Vom Team des MO kuratierte Sonderausstellungen auf der Ebene 6 des Dortmunder U knüpfen ebenfalls an den Sammlungsbestand an und erweitern so einzelne Aspekte der städtischen Kunstsammlung.

Von März 2022 bis Ende 2023 wurde das Museum Ostwall von einem zweiköpfigen Direktorinnenteam, bestehend aus Regina Selter und Dr. Florence Thurmes, geleitet. Seit Anfang 2024 ist Regina Selter Direktorin des Museums, unter deren Leitung das Team des MO sich, beginnend mit der Sammlungspräsentation „Kunst –> Leben –> Kunst. Das Museum Ostwall gestern, heute, morgen“, den drängenden Fragen unserer Zeit widmet:

Wie können wir bei Sammlungserweiterungen über den Tellerrand schauen und auch außereuropäische Positionen zu lebensnahen Themen integrieren? Wie können wir unser Publikum erweitern und mit Menschen in Dialog treten, die sich – aus verschiedenen Gründen – bisher nicht für Kunst interessieren? Und schließlich: Wie können wir die Partizipationsmöglichkeiten für unsere Besucher*innen ausbauen, so dass sich das MO als lebendiger Ort des Austauschs weiterentwickeln kann.

Von dem Fluxus-Künstler Robert Filliou stammt der Satz: „Art is what makes life more interesting than art“. In diesem Sinne arbeiten wir daran, das Leben interessanter zu machen…!

Body & Soul. Denken, Fühlen, Zähneputzen, 2021. Foto: Jürgen Spiler
Kunst und Kohle, 2018. Foto: Jürgen Spiler